berlinerleben 4/20

Lea Streisand HAT EINE HÖRKOLUMNE auf Radio Eins und schreibt für verschiedene Tageszeitungen. Ihr aktueller Roman heißt „Hufeland, Ecke Bötzow“ (Ullstein). www.leastreisand.de von Gutscheinen. Bons für Massagen in Kosmetikinstituten, fünf Jahre alte Eintrittskarten für Saunalandschaften, Büchergutscheine, die selbst ein gan- zes Regal füllen könnten, und sogar einen Urlaubsgutschein über mehre- re Hundert Euro, den mir meine Tante Erna vor Jahren zum Geburtstag ge- schenkt hat. Sie alle haben eins gemeinsam: Sie wollen mir Gutes tun, „Zeit für mich“ schenken, wie es in TV-Wer- bespots für einfallslose Ehepartner heißt. Der Punkt ist aber: Sie schen- ken mir gar nichts, sondern setzen mich unter Druck, irgendwas zu tun, was ich vielleicht gar nicht will. Und Druck ist momentan das Letzte, was ich brauche, gerade zu Weihnachten. Ich wünsche mir, dass diejenigen, die ratlos sind, was sie mir schenken sollen, entweder den Mut haben, es tatsächlich bleiben zu lassen und mir nichts zu schenken, oder aber eine Entscheidung treffen. Die können sie dann hübsch verpacken und unter den Tannenbaum legen. Es darf auch Schrott sein. Dann schmeiß ich es weg oder verschenke es weiter. Ganz egal. Ich liebe Geschenke. Sowohl wel- che zu bekommen als auch welche zu machen. Ich liebe das Einwickeln, die kleine Bastelarbeit für jeden Ein- zelnen. Letztes Jahr habe ich teil- weise Dinge verschenkt, die ich beim o, Freunde. Bald ist dieses Jahr vorbei. Dann haben wir das hinter uns. Ich hatte neulich eine Lesung in Köpe- nick. Mittelpunktbibliothek. Dort auf dem Damenklo stand mit schwarzem Edding an die Wand geschrieben: „Mein Freund hat am 2.1.2020 mit mir Schluss gemacht. Wessen 2020 ist jetzt auch schon beschissen?“ Vermutlich im Januar verfasst, dachte ich. Oh je, die Arme, sie hatte keine Ahnung, was noch kommen würde. Zum Glück hat die Verlassene im Laufe des Jahres viel Support be- kommen. „Sei froh, dass du die Flitz- piepe los bist!“, schrieb eine, „Liebe ist scheiße!“ eine andere und eine dritte versprach: „Dein Freund Jesus Chris- tus macht nie Schluss mit dir.“ Wenn mir irgendwann nichts mehr einfällt, kann ich diese Wand als Taschenbuch veröffentlichen. Ti- tel: Der Toilettenraum als soziales Netzwerk. Habt ihr schon eure Geschenke für Weihnachten zusammen? Durch die- ses ganze Home-Office, Hausarbeit, Homeschooling dieses Jahr hatten wir ja alle mal so richtig Zeit zum Auf- räumen. Ich habe Verträge wieder- gefunden, von denen ich nicht mal wusste, dass ich sie abgeschlossen hatte. Und Gutscheine. Unmengen Aufräumen gefunden habe. Einen echten Kalligrafie-Tuschkasten, den mir meine vor 15 Jahren verstorbene Großmutter vor ungefähr 25 Jahren von einer Chinareise mitbrachte, hab ich an eine befreundete Künstlerin verschenkt. Sie hat uns wiederum selbst gebackene Kekse geschenkt und in Stoffbeutelchen verpackt, die sie aus den Baumwolltaschentü- chern ihrer verstorbenen Eltern ge- näht hatte. Sie hatte unsere Namen drauf gestickt. Total entzückend. Ge- nießbar waren die Kekse nicht, son- dern steinhart. Aber wurscht. Beim Schenken zählt die Geste, der einge- wickelte Gedanke. Wenn mir wirklich jemand eine Freude machen will, aber keinerlei kreative Begabung hat, steckt doch statt des Gutscheins einfach die Kohle dafür in den Umschlag. Dann kann ich nämlich selbst entscheiden, ob ich es für eine sinnlose Massa- ge ausgebe oder mir einfach einen Wocheneinkauf davon gönne. Geld bedeutet nämlich zuallererst Selbst- bestimmung. Und über Selbstbestim- mung in monetärer Form haben wir uns doch schon als Teenager bei den großzügigen Zuwendungen unserer ratlosen Großeltern gefreut. In diesem Sinne: Fröhliche Weih- nachten allerseits! . KOLUMNE Gute Scheine S Lea Streisand sagt die Wahrheit berlinerleben  9 ILLUSTRATION: Silke Werzinger

RkJQdWJsaXNoZXIy NTMzMTY=