berlinerleben 3/20

Lea Streisand HAT EINE HÖRBUCHKOLUMNE auf radioeins und schreibt für verschiedene Tageszeitungen. Ihr aktueller Roman heißt „Hufeland, Ecke Bötzow“ (Ullstein). www.leastreisand.de ich einkaufen. In den Supermarkt. Ich kam mir vor wie ein Hefekloß, der zu lange im Wasser gelegen hat, ich musste mal raus aus der trüben Alltagssuppe. „Man kann ja nicht mal ins Kino gehen!“, jammerte ich. „Immer nur dieses blöde Streaming!“ „Du kannst doch ins Kino“, sagte Paul. „Musste eben ’ne Maske aufset- zen, bis du am Platz bist.“ „Ach, ich weiß nicht“, nörgelte ich. Ich habe schon einfach großen Respekt vor dieser Krankheit. Erstens will ich sie nicht haben und zweitens niemanden anstecken. Mein Gatte hat’s gut. Er muss sich um so was keine Gedanken machen. Er ist systemrelevant und darf jeden Tag ins Büro. Er ist Systemadminis­ trator und hilft Literaturwissenschaft- lern bei ihren Videokonferenzen. Für ihn hat sich kaum was geändert. Außer der heulenden Ehefrau, die er jetzt zu Hause sitzen hat. „Die Freiluftkinos haben doch geöffnet“, schlug er vor, „trefft euch doch dort.“ Freiluftkino, dachte ich. Wie frü- her. In lauen Sommernächten auf der Wiese liegen und Popcorn essen, nach dem Film gleich auf die nächste Party und erst im Morgengrauen zum Lied der Lerche zurück nach Hause. „Tina“, schrieb ich meiner Freun- din, „magst du am Sonntag mit mir ch hatte ein Date. Eine rich- tige Verabredung. Mit Tina. Wir sind seit 25 Jahren be- freundet (mehr als die Hälfte unseres Lebens!) und nun haben wir uns mal wieder getroffen. In echt und in Farbe. In Mitte. Weil die Mitte Berlins auch auf halbem Weg zwischen unseren bei- den Wohnungen liegt. Irgendwie hatte ich erwartet, dass es in der Berliner Innenstadt corona­ bedingt ruhiger zugehen würde. We- niger Touristen, mehr Parkplätze. Ein bisschen wie Weihnachten. Doch viel- sprachig wie eh und je plapperten die jungen Menschen in den Cafés am Rosenthaler Platz, die Masken als hübsches Accessoire unterm Kinn. Es war mein erstes Mal seit Ewigkei- ten jenseits von Pankow. Diese Dreckspandemie hat ja mein berufliches und privates Sozialleben komplett zum Erliegen gebracht. Die meisten Lesungen, die für dieses Jahr geplant waren, wurden – wenn nicht komplett abgesagt – erst vom Früh- jahr in den Herbst und jetzt in den Herbst 2021 verschoben. Seit Ende Februar führen meine Wege zum Schreibtisch, zur Kita oder in den Schrebergarten. Manchmal, wenn ich das Abenteuer suche, gehe ins Freiluftkino mit vorher was es- sen?“ In Rehberge spielten sie eine Krimikomödie. Ich kaufte online die Karten und war voller Vorfreude. Am Sonntagmorgen wachte ich um sechs Uhr auf. Wie jeden Morgen. Oh Gott, schoss es mir durch den Kopf, der Film beginnt um 21.30 Uhr. Da gehe ich normalerweise Zäh- ne putzen. Wie lange dauert so ein Streifen? Zwei Stunden? Und danach muss ich noch nach Hause radeln. Als wir beim Frühstück saßen, klingelte mein Telefon. „Hast du ge- sehen, wie das Wetter heute Abend wird?“, fragte Tina. „12 Grad um 23 Uhr. Und alle Restaurants, die es dort im Umkreis gibt, haben ein Apostroph im Namen.“ Ich hatte gerade darüber nachge- dacht, ob ich sicherheitshalber mei- nen Schlafsack einpacken sollte. Und Stullen schmiere. „Mann, sind wir alt gewor- den!“, murmelte ich erleichtert. Um 18.30 Uhr trafen wir uns zum Abend- brot beim Italiener in Mitte. Und als im Freiluftkino Rehberge der Film an- fing, stand ich zu Hause in meinem Badezimmer und putzte mir die Zäh- ne. Den Film hab ich mir später im Stream angeschaut. KOLUMNE Raus aus der Alltagssuppe! Lea Streisand sagt die Wahrheit ILLUSTRATION: Silke Werzinger berlinerleben  9

RkJQdWJsaXNoZXIy NTMzMTY=