berlinerleben 1/21

Lea Streisand HAT EINE HÖRKOLUMNE auf radioeins und schreibt für verschiedene Tageszeitungen. Ihr aktueller Roman heißt „Hufeland, Ecke Bötzow“ (Ullstein). www.leastreisand.de Drei Kartenspiele fanden wir zwi- schen den Sofaritzen, ein halbes Schinkenbaguette (das machten wir uns zum Mittag warm), außerdem etwa 13 Mark 20 (Ost) und das Bern- steinzimmer. Nein, im Ernst. Die Lichterkette vom Balkon haben wir abgenom- men – Anfang März – und den Weih- nachtsstern von der Wohnzimmer- decke (bin mir nicht sicher, ob der seit der Geburt des Kindes schon mal abmontiert war). „Wo wir grad dabei sind“, meinte ich zu Paul, „wir müssten auch mal wieder die Küche renovieren.“ Das haben wir vor zehn Jahren zuletzt gemacht. Und das sieht man auch. Wir essen echt nicht viel Fleisch. Aber auch Gemüse hinterlässt beim Anbraten einen Fettfilm auf Raufa- sertapete. An der Dunstabzugsklappe zum Schornstein haben sich Staub- flusen und Bratenfett zu einer feinen, grauen Plüschdecke vereinigt. Hinten über der Sitzecke ist die Decke gelb, dabei wurde unter diesem Anstrich noch nie eine Zigarette angezündet. Paul sah mich an. „Weißt du, wa­ rum ich dich liebe?“, fragte er. „Du hast so eine unnachahmliche Art, einem wirklich jeden Spaß zu verder- ben. Freu dich doch, dass die Woh- nung mal wieder sauber ist!“ etzte Woche war die Kita zu. Ich weiß, die meisten Eltern haben ihre Kinder während dieser (Verzeihung!) Dreckspandemie rund um die Uhr zu Hause betreut. Ich hab echt keine Ahnung, wie ihr das ge- schafft habt, Freunde! Ich war zwei Tage mit meinem Kind alleine und schon kräht er „Scheißekackmist!“ und lacht dreckig. Er ist kaum drei Jahre alt. Ich will nicht wissen, wie das Kind drauf wäre, liefen die Berufe seiner El- tern nicht unter der neuen Elitekate- gorie „Systemrelevanz“. Ich habe von Lehrern gehört, die sonntagnachmittags ihre Lehrerkon- ferenzen machen, weil sie den Rest der Woche ihre eigenen Kinder be- schulen. Oder sie versuchen, Arbeits- blätter in den Lernraum Berlin hoch- zuladen. Mein Ehemann ist System- administrator, der könnte immer nur weinen, wenn er von solchen digita- len Gehversuchen im Bildungswesen hört. Letzte Woche war jedenfalls die Ki- ta zu. Mein Mann nahm Urlaub, mei- ne Mutter das Kind und wir machten sauber. Aber so richtig. „Ich freu mich ja“, erwiderte ich. „Ich freu mich riesig. Wirklich. Und wie das so ist mit so viel Freude: Man will gleich noch mehr davon. Wie beim Chipsessen. Niemand isst nur einen Kartoffelchip. Oder eine Portion, wie es hinten auf der Packung bei den Kalorienangaben heißt. Man will im- mer gleich die ganze Packung. Und genau so ist das beim Aufräumen. Wo wir grad so schön in Schwung sind …“ Bei dem Wort Schwung machte ich die entsprechende Bewegung mit den Armen. Ich ging ein bisschen in die Knie, nahm Anlauf und we- delte den Wasserkocher von der Ar- beitsplatte. „Oh Mist“, murmelte ich. „Guck, wie sehr ich mich freue.“ Paul sah mir tief in die Augen. „Manchmal liebe ich dich so sehr, dass es fast wehtut“, stieß er zwi- schen zusammengebissenen Zäh- nen hervor. Bin gespannt, was wir nächste Woche schaffen, wenn mein Sohn bei meiner Mutter ist. Aber sagt mal, sind die Baumärkte überhaupt offen? Ich hab komplett den Überblick ver- loren … KOLUMNE Frühjahrsputz Lea Streisand sagt die Wahrheit ILLUSTRATION: Silke Werzinger berlinerleben 9

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