Provinz vs. Berlin
Berlin
tip Campus
13
April 2013
»Das Politikstudium in Berlin
ist provinziell«
„Wir sind die Tollsten! Wir sind die Größten!
Wir sind die Wichtigsten! – So denkt man in
Berlin. Mich hat das sehr gestört. Und mein
Politikstudium an der Freien Universität emp-
fand ich als sehr schwergängig und träge – ich
hatte das Gefühl, dass man gar nicht richtig
wahrgenommen wird. Außerdem: die Leute,
die tatsächlich was Wichtiges zum Fachbereich
beizutragen haben, die sitzen leider auch nicht
in Berlin. Die sitzen im Ausland. Deshalb habe
auch ich der Hauptstadt den Rücken gekehrt.
In meiner neuen Wahlheimat London zahle ich
um die 10000 Euro Studiengebühren im Jahr.
Das ist echt viel Geld, aber es lohnt sich. Wir
sind nur 18 Leute in einem Jahrgang, die Be-
treuung selbst in einer Großstadt wie London
ist also sehr viel besser und persönlicher als in
Berlin. Außerdem kann es sich die Uni leisten
richtig prominente, gute und international an-
erkannte Experten für Seminare und Vorträge
zu gewinnen. Und anstatt sich durch einen Bü-
rokratiedschungel aus Formularen und Öff-
nungszeiten unzähliger Ämter durchschlagen
zu müssen, wird man in London richtig kom-
petent und freundlich beraten. Berlin ist in
dieser Hinsicht einfach nur provinziell!“
Johannes Uhl, 23, kommt
aus Westerburg im Wester-
wald. Er wollte schon im-
mer in einer Großstadt le-
ben, deshalb ist er erst nach
Berlin gegangen und dann
nach London, um dort den
Masterstudiengang Demo-
cracy and Comparative Poli-
tics zu absolvieren. Das Stu-
dium dort findet er persön-
licher und internationaler
als in Berlin.
»In Berlin ist viel los,
aber alles kann man hier
nicht machen«
„Ich hätte es nicht gedacht, aber es gibt tat-
sächlich Sachen, die man in Berlin einfach nicht
machen kann! Ich reite zum Beispiel gerne und
auch in Berlin hatte ich ein paar Reitstunden
über den Uni-Sportkurs belegt. Man ist zwar
recht schnell im Grünen, aber wenn man nicht
weit fahren will, da bleibt man doch immer
irgendwie in der Stadt: denn das Rattern der
Bahn und das Rauschen der Autos bleibt meist
im Hintergrund. Berlin ist ja wirklich eine ganz
schöne Stadt, es ist viel los hier und in den vier
Jahren meines Studiums habe ich einiges er-
lebt. Aber nun war es auch Zeit, mal wegzuge-
hen. In Münster wohne ich jetzt in einer
schnuckligen Vorstadt-Siedlung, die den hip-
pen Berlinern viel zu spießig wäre. Und ja: Es
ist sauber auf der Straße und der Rasen ist
akkurat geschnitten. Na und? Dafür sind die
Leute nett, man kennt sich und vertraut einan-
der. Und nur ein paar Minuten und ich bin mit
dem Pferd in der richtigen Natur – mit Vogel-
gezwitscher statt Verkehrslärm.“
Andrea Beilborn, 23,
kommt aus Remscheid. Für
ihr Jurastudium ist sie nach
Berlin gezogen, sie wollte
unbedingt in einer Groß-
stadt leben. Diese Entschei-
dung hat sie nie bereut,
aber nach ein paar Jahren
Berlin hatte sie genug. Jetzt
arbeitet sie als Rechtsrefe-
rendarin in Münster.
Großstadt
vs.
Provinz
Acht Meinungen zum ewigen Stadt-Land-Battle – oder wie
Tocotronic singen: „Aber hier leben, nein danke!“
Protokolliert von Michael Metzger
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