Provinz vs. Berlin
Berlin
tip Campus
15
April 2013
»Berlin ist Freiheit«
„Ich kann hier machen, was ich will – Berlin
bedeutet für mich Freiheit. Das fängt beim Ta-
gesrhythmus an: Ich kann lange ausschlafen,
mich zu jeder Tageszeit mit Freunden im Café
treffen oder Nächte und Tage durchfeiern. Und
ich kann meine eigenen Kulturprojekte auf die
Beine stellen. Niemand sagt mir, wo es lang
geht, niemand mischt sich ein, ich kann mich
in alle Richtungen ausprobieren. Für jemanden,
der wie ich im kreativen Milieu arbeitet, Party-
reihen organisiert und eine Künstlergruppe
gegründet hat, ist das besonders wichtig. Denn
wenn ich eine Idee für ein neues Projekt habe,
dann gibt mir niemand ungefragt Ratschläge
und weiß alles besser. Ich kann hier einfach
meinen eigenen Weg gehen. Klar, es besteht
die Gefahr, in der ganzen Partyszene seinen
Fokus zu verlieren und sich zu sehr gehen zu
lassen. Aber auf der anderen Seite bietet genau
diese Partyszene letztendlich auch vielfältige
Möglichkeiten, Geld zu verdienen. Deshalb
würde ich Berlin so schnell als Wohnort nicht
aufgeben. Für mein Studium der Kulturwissen-
schaften in Frankfurt/Oder macht es mir nichts
aus mit dem Zug zu pendeln. Und hey, im Stu-
dium lerne ich immerhin, wie man im kulturel-
len Bereich Kreativität, Spaß und Produktivität
zusammenbringt. Ich hoffe, so finde ich einen
Weg, langfristig in Berlin glücklich zu werden.“
Larissa Krause (22), studiert
Kulturwissenschaften in
Frankfurt/Oder, sie wohnt
aber in Berlin. Das tägliche
Hin- und Herfahren zwischen
Uni und WG nimmt sie gerne
auf sich. Sie genießt den Frei-
raum, den Berlin ihr bietet.
Die Stadt zu verlassen, kann
sie sich nicht vorstellen –
schon allein deshalb, weil sie
hier aufgewachsen ist.
»Für mich muss eine Stadt
eine gewisse alternative Sub-
kultur haben«
„Wieso ich nach Berlin gezogen bin? Schwer zu
sagen. Als ich mein Abi in der Tasche hatte,
wusste ich nur: Es wird Zeit, mal aus dem Ruhr-
gebiet rauszukommen. Ausschlaggebend für
Berlin war dann sicher mein Studium der Eu-
ropäischen Ethnologie, welches es in dieser
Ausprägung nur an der Humboldt-Uni gibt. Seit
ich in Berlin lebe, weiß ich auch, dass ich von
einer Stadt eine gewisse alternative Subkultur
erwarte. Ich möchte nicht in jedem Café die-
selbe hässliche Kunstleder-Garnitur in rot oder
weiß sehen. Ich will nicht, dass in jedem Club
die Charts rauf und runter gespielt werden. Und
ich will nicht, dass das Straßenbild von Merce-
des-Fahrern geprägt ist, die in Dreiteilern am
Steuer sitzen. Berlin bietet dagegen ein junges
und studentisches Milieu. Die Kehrseite ist,
dass alle weit verstreut wohnen, die Uni nicht
um die Ecke ist und man zu viel Zeit im Nahver-
kehr verbringt. Mehr kleinstädtische Struktu-
ren wären manchmal schon von Vorteil. Ich
komme grade aus meiner Berlin-Auszeit in
Portugal zurück und habe erstmal meinen Kiez
nach Neukölln verlegt, weil so viele, die ich
kenne, hier leben. Und die kann ich jetzt zu Fuß
besuchen. Mittlerweile verstehe ich einen Satz,
den ich am Anfang meiner Berlin-Zeit eher be-
lächelt habe: Ich bin ganz froh, wenn ich für ein
paar Tage meinen Kiez nicht verlassen muss.“
Jonas Müller, 23, studiert
Philosophie an der Hum-
boldt-Universität. Nach
dem Abi wollte er nur weg
aus Herten in Nordrhein-
Westfalen. Manchmal aber
vermisst er in Berlin so et-
was wie kleinstädtische
Strukturen und ist froh,
wenn er seinen Kiez mal
nicht verlassen muss.
»Berlin bietet für alles
eine Nische«
„In dieser Stadt kann jeder sein eigenes Berlin
finden. Die Stadt der Partys? Die Stadt der Sub-
kultur? Die Stadt des politischen Engagements?
Berlin bietet für alles eine Nische. Selbst Men-
schen, die es ruhig und beschaulich haben
wollen, können sich in Berlin so einrichten,
dass sie in der Stadt genau das erleben, was sie
suchen. Nach dem Abi bin ich nach Berlin ge-
kommen, um einen Kontrast zu meiner Aache-
ner Heimat zu erleben. Machen konnte ich in
Aachen eigentlich auch schon einiges: Es gab
Clubs, Restaurants und Cafés und auch eine
Pingpong-Bar. In Berlin gibt es das alles auch,
aber Berlin hat von allemmehr zu bieten: Mehr
Clubs, mehr Restaurants, mehr Cafés. Und
wenn ich hier Pingpong spielen will, habe ich
jeden Abend die Wahl zwischen vielen ganz
unterschiedlichen Locations. Ich kann mir eine
Art Alltag einrichten und einmal die Woche in
dieselbe Pingpong-Bar gehen. Oder aber ich
probiere einfach jede Woche eine neue Loca-
tion aus, lerne so neue Facetten der Stadt ken-
nen und neue Leute. Die Stadt komplett zu
erfassen ist sehr schwierig. Und das ist gut so:
Ein Alltagstrott entsteht nicht, wenn du ihn
nicht haben willst.“
Thomas Tegtow, 32, stu-
diert Geschichte an der
Humboldt-Universität. Und
obwohl es in Aachen auch
viele Clubs, Restaurants
und Cafés gibt, zieht er
Berlin ganz klar seiner Hei-
matstadt vor. Denn Berlin
hat von alledem viel mehr
zu bieten.
Mehr Schiffe als Menschen: Greifswald
Immer rummelig: Bergmannstraße in Kreuzberg
Foto: Helga Ewert / pixelio.de (links), Karl-Heinz Liebisch / pixelio.de
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