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4
von
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wischen Kaiserdamm und Otto-
Suhr-Allee erstreckt sichdie Sophie-
Charlotten-Straße. Hier, in dem Haus
mit der Nummer 88, hat Heinrich Zille
ab 1892 gelebt. Fast 40 Jahre sollte er
hier wohnen bleiben. Im Erdgeschoss
des denkmalgeschützten Hauses erin-
nert heute das Restaurant „Pinselhein-
rich“ an den Maler, Grafiker und Foto-
grafen – so wurde Zille nämlich zuwei-
len auch genannt.
Ende des 19. Jahrhunderts begann
hier bereits der Stadtrand. Vom vierten
Stock aus blickte Zille bis zumWestend,
wo sein damaliger Arbeitgeber, die
„PhotographischeGesellschaft“, hinge-
zogen war. Er blickte über Felder, Wie-
sen und Eisenbahnschienen. Um eine
Idee des proletarischen Lebens zur Zeit
des Künstlers zu bekommen, lohnt sich
ein Blick in die Hinterhöfe und Seiten-
gassen, genau, wie er es zu Beginn des
20. Jahrhunderts getan hat.
Aufmüpfige Bürger
Das Quartier westlich der Schloss-
straße zwischen Klausenerplatz und
Sophie-Charlotte-Platz war im ausge-
henden 19. und frühen 20. Jahrhundert
ein Kiez mit schlimmen Wohnverhält-
nissen. Zunächst lebtenhier Schlossbe-
dienstete, später Arbeiter, Angestellte
und Beamte. Es gab viele Eckkneipen
– und seit 1884 auch die Engelhardt
Brauerei, bis 1930 die zweitgrößte Brau-
erei Deutschlands. Dann kamendieNa-
tionalsozialisten und zwangen den jü-
dischen Eigentümer zumVerkauf. „Ari-
sierung“ nannten sie das, was sie taten.
Heute befindet sich an dieser Stelle ein
Gewerbehof.
Besonders populär waren die Nazis
in diesemKiez nicht, stattdessen wähl-
tenvieleBewohner SPDoder KPD. Einer
der lokalen Widerstandskämpfer war
Otto Grüneberg, der hier im Februar
1931 vomSA-Sturm33 erschossenwur-
de. Heute erinnert amHaus Schloßstra-
ße 22 eine Tafel an seinen Mord. Der
„rote Kiez“, wie dasViertel westlich der
großbürgerlichen Schloßstraße auch
genannt wurde, war schon immer von
aufmüpfigen Bürgern bevölkert.
In den 1930er-Jahren lebte hier zum
Beispiel Kläre Bloch, die damals noch
Kläre Begall hieß und am Horstweg zu
Hause war. Die Tochter eines Drosch-
kenunternehmers war eine der ersten
weiblichenTaxifahrer Berlins.Während
der Nazizeit hatte sie Flüchtlinge in ih-
rerWohnung versteckt, unter anderem
eben auch den politischen Zeichner
Erich Bloch, den sie in den 1950er-Jah-
ren heiratete. Im Jahr 2004, 14 Jahre
nach ihrem Tod, benannte man einen
kleinen, dreieckigen Platz zwischen
Knobelsdorff-, Nehring- undWundstra-
ße nach dieser couragierten Frau.
Selbst nach dem Krieg war hier die
Heimat vonAufmüpfigen. Gott seiDank,
möchte man sagen. Schließlich war es
den engagiertenBürgern zu verdanken,
dass die Abrisswut der Nachkriegsära
nicht überhandnahm. DennvonKriegs-
bombenwurden dieHäuserblocks wei-
testgehend verschont. Dennoch muss-
ten sie irgendwann renoviert werden:
Die meisten Häuser verfügten nur über
AußentoilettenundBadezimmer waren
nicht selbstverständlich. In den Jahren
1962 bis 1992 wurden diemeistenHäu-
ser umfangreich saniert. 1973 entstand
hier die erste Mieterinitiative der Stadt,
Endeder 1970er-undAnfangder 1980er-
Jahre kamen die ersten Hausbesetzer.
Der Charlottenburger Kiez gilt übrigens
alsdas erste innerstädtischeSanierungs-
gebiet, in dem die Instandsetzung von
Wohnungen öffentlich gefördert wurde.
Das Ziel: Die Altbauten sollten stehen
und die Mieten preiswert bleiben.
Alte Laternen, restaurierte Fassaden
mit Stuck und Balkonen versprühen
nunwieder denCharme der vorvorigen
Jahrhundertwende. Der Erhalt der
Blockrandbebauungmit ihrerursprüng-
lichenMieterstruktur wurde sogar Vor-
bild für weitere Sanierungsprojekte,
etwa in Teilen Kreuzbergs. Heute lebt
hier immer noch eine Mischung aus
Studenten, Senioren, Migranten und
Künstlern. Menschen, die sich norma-
lerweise denWohnraum in einem auf-
gewerteten, sanierten Bestand kaum
leisten könnten. Neue Wohnungssu-
chende müssen aber auch hier inzwi-
schen mit Mietpreisen ab sieben Euro
proQuadratmeter rechnen.Wohneigen-
tum ist nicht unter 1600 Euro pro Qua-
dratmeter zu haben.
Feste, Märkte und Konzerte
Der Klausenerplatzmit denmarkan-
ten Türmen der Kirche St. Kamillus ist
heute noch einer der schönsten Char-
lottenburgs. Ursprünglichwar er für die
Garde du Corps als Reitplatz angelegt.
Erst mit der Umgestaltung, die der Gar-
tendirektor Erwin Barth 1922 vorge-
nommen hatte, erhielt er einen Kinder-
spielplatz, Blumenrabatte und Bänke
zumAusruhen – und erfüllte seine Auf-
gabe als Grünanlage für Menschen, die
keinen eigenen Garten besitzen. Die
Nazis errichteten am Klausenerplatz
später einen Bunker, der jedoch 1992
wieder abgerissen wurde. Seitdem ist
der grüne Fleckenwieder voll und ganz
von den Kiezbewohnern belebt.
Das Kiezbündnis Klausenerplatz e.V.
sorgt seit 1999 mit zahlreichen Aktivi-
täten wie Kiezfesten, Konzerten und
Wochenmärkten dafür, dass das Quar-
tier lebenswert bleibt. So fühlen sich die
Menschen hier wohl – trotz mancher
Spannungen zwischen den verschiede-
nenWeltanschauungen, Religionenund
Milieus.
Die wehrhaften Charlottenburger
Wo berühmte Berliner Spuren hinterließen: Heinrich Zille in der Sophie-Charlotten-Straße
raufeld/Kirsten niemann (3)
Blick in die Nehringstraße mit ihren kleinen Läden.
Figurenschmuck an der Fassade von St. Kamillus am Klausenerplatz.
Blick auf den herbstlichen Platz. Im Sommer laden Bänke zumVerweilen ein.
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