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ür den Verbraucher sind es nur alte
Handys – für die Entsorgungswirt-
schaft eine wahre Goldmine. Am Bei-
spiel einerTonneAlthandys verdeutlicht
Karsten Hintzmann vom Bundesver-
band der Deutschen Entsorgungswirt-
schaft (BDE), welcheWerte in unserem
Abfall schlummern.„In einer Gewichts-
tonne Althandys stecken 250 Gramm
reines Gold. Zum Vergleich: In einer
TonneGolderz aus Afrika sind es gerade
mal fünf Gramm.“ So hat sich die „Se-
kundärrohstoffbranche“, die Rohstoffe
aus Abfällen gewinnt, mittlerweile zur
wachstumsstärksten der deutschen
Wirtschaft entwickelt, mit Steigerungs-
raten von 15 Prozent pro Jahr seit den
1990er-Jahren. Das hat das Institut der
deutschenWirtschaft inKöln imAuftrag
des BDE ermittelt.
Bei der Produktion vonGütern spie-
len Sekundärrohstoffe eine zunehmend
größere Rolle. Schon 2009 konnte die
deutsche Industrie 13 Prozent ihres
Rohstoffbedarfs mit recyceltenMateri-
alien decken. Angesichts der wachsen-
den Rohstoffknappheit auf dem Welt-
markt ist der Müll viel zu schade, um
ihn wegzuwerfen oder gar zu verbren-
nen. Jeder zweite Stahlträger besteht
bereits aus aufbereitetemMetall. 71Pro-
zent der Faserstoffe für Papier basieren
schon auf Altpapier-Recycling.
Längst ist der Kampf um den Müll
entbrannt. Vermeiden, verwerten oder
verbrennen – das ist die Frage. Immer
mehr Abnehmer buhlen um immer we-
niger Müll. So sinkt das Abfallaufkom-
men pro Kopf kontinuierlich, was am
Bevölkerungsrückgang liegt und an der
gestiegenen Recyclingquote. Auf der
anderenSeitekonkurrieren immermehr
Recyclinghöfe, Müllverbrennungsanla-
gen und Ersatzbrennstoff-Kraftwerke
von energieintensiven Unternehmen
umdendeutschenAbfall. Die Studie des
BDE erscheint daher nicht von unge-
fähr. Der Bundestag muss demnächst
die EU-Abfallrahmenrichtlinie umset-
zenund damit das Kreislaufwirtschafts-
gesetz novellieren, das denUmgangmit
Müll regelt. Dabei geht es um die heik-
le Frage, wer wertvolle Stoffe nutzen
darf, öffentliche oder privateWertstoff­
entsorger?
Umweltschützern geht der deutsche
Referentenentwurf allerdings nicht weit
genug. So kritisiert der Naturschutz-
bundDeutschland (NABU), dass dieser
Recycling und „energetische Verwer-
tung“, sprichVerbrennung, gleichsetzen
und konkrete Abfallvermeidungsziele
verfehlen würde. „Deutschland ver-
brennt heute schonmehrMüll als über-
haupt im Inland anfällt“, kritisiert Ben-
jaminBongardt vomNABUund schätzt,
dass in den kommenden Jahren noch
28 Neuanlagen hinzukommenwerden.
Dabei seien schon die jetzigen Kapazi-
täten nicht ausgelastet. So befürchtet
er, dass das Verbrennen den weiteren
Ausbaudes Recycling behindert. Immer
noch werden 31 Prozent verfeuert.
Mit seiner Kampagne „Verwerten
statt verbrennen“ will der NABUgegen-
steuern. Mehr noch: Besser erst gar
nicht so viel Müll aufkommen lassen.
„Abfallvermeidung ist die wichtigste
Maßnahme, umRessourcenzu schonen
und damit Umwelt und Klima zu unter-
stützen“, sagt NABU-Referentin Indra
Enterlein. In Deutschland liege das Ab-
fallaufkommen bei 510 Kilogramm pro
Einwohner im Jahr. Da sei noch reich-
lich Sparpotenzial vorhanden. Beson-
ders ärgertUmweltschützer, dass immer
noch viel zu vieleWertstoffe imnorma-
len Hausmüll und damit am Ende im
Verbrennungsofen landen.
„Ein alter Fön brennt zwar schön,
aber wenn er einmal verbrannt ist, kann
man auch die wertvollen Materialien
nicht wiedergewinnen“, stimmt BDE-
Sprecher KarstenHintzmann zu. Daher
wirbt auch der BDE für die bundeswei-
te Einführung der„Wertstofftonne“, die
die Gelbe Tonne erweitern soll. In ihr
landet nicht nur Plastikmüll, sondern
ebenfalls„stoffgleicher“ Abfall, wie Kin-
derspielzeug oder kleine Elektrogeräte,
zum Beispiel Toaster, Rasierapparate
oder alte Radios, sowie Holz und Texti-
lien. Städte wie Hamburg, Hannover
und Leipzig machen es erfolgreich vor.
Auch für Berlin hat das Modellprojekt
„Gelbe Tonne Plus“ mit 9 000 Tonnen
gezeigt, welcheVorteile eine effiziente-
reVerwertung bietet: Die Entsorgungs-
branche profitiert von mehr Wertstof-
fen – die Bürger von sinkendenMüllge-
bühren. Doch der Berliner Senat fuhr
demProjekt des privaten Entsorgungs-
unternehmens Alba dazwischen, will
keine Konkurrenz zum kommunalen
Entsorger Berliner Stadtreinigungsbe-
triebe, der eine eigene orangefarbene
Wertstofftonne eingeführt hat. Das Ber-
liner Gerangel ist das beste Beispiel:
Eine klare Kompetenzregelung tut not.
So befürchtet Hintzmann „kommu-
nale Monopole“, wenn die Sammlung,
Sortierung undVermarktung vonAbfäl-
len nur in der Hand von Kommunen
und damit von deutschlandweit mehr
als 400 Landkreisen und kreisfreien
Städten bliebe. Er fordert mehrWettbe-
werb und sieht trotz des gesunkenen
Abfallaufkommens Potenzial. Noch im-
mer seien reichlich Elektrogeräte im
Umlauf, „um erfolgreich Recycling zu
betreiben“. Zudemverfüge die Bundes-
republiküber einenerheblichenFundus
an Deponien. „Da stecken noch vierzig
MillionenStahlschrott drin“, sagtHintz-
mann und prognostiziert, dass wir es
noch erleben werden, dass Wertstoffe
aus Deponienwieder ausgegrabenwer-
den, um sie zu recyceln.
Zu schade für die Tonne
Im Müll stecken begehrte Rohstoffe. Sogar aus Deponien könnte er bald wieder ausgegraben werden
W i s s e n s w e r t
Aktion
: Die „Europäische
Woche zur Abfallvermei­
dung“ findet zum ersten
Mal vom 20. bis 28. No­
vember in Deutschland
statt. Zusammen mit dem
Bundesumweltministerium
koordiniert der Natur­
schutzbund Deutschland
(NABU) zahlreiche lokale
Aktionen, an denen sich
Vereine, öffentliche Ein­
richtungen und die Indus­
trie beteiligen können.
Zum Beispiel mit Vorzei­
geprojekten, Infoveran­
staltungen und Aktionen.
Studie:
Die Studie „Volks­
wirtschaftliche Bedeutung
der Entsorgungs- und
Rohstoffwirtschaft“
ist nachzulesen beim
Bundesverband der deut­
schen Entsorgungswirt­
schaft (BDE):
Thinkstockphoto
In tausend Kilo Althandys stecken 250 Gramm Gold.
B e r l i n e r Z e i t u n g · N u m m e r 2 6 3 · M i t t w o c h , 1 0 . N o v e m b e r 2 0 1 0
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