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Humboldt
kosmos
101/2013
Forschung Hautnah
Auffällige Skulptur vor einem Gotteshaus der Christian Action Faith
Ministries in Ghana
Der Körper wird
zum Medium des
Heiligen Geistes.
„In der Kirche
ist es heiß und wahnsinnig laut. Aus
riesigen Verstärkern dröhnen die Worte des Predigers. Er
läuft auf einer Bühne hin und her, gestikuliert und schmet­
tert seine kurzen Sätze in ein Mikrofon. Vor ihm stehen
die Gläubigen, die Frauen in bunten, langen Kleidern und
mit farbigen Tüchern auf dem Kopf, einige tragen Babys
auf dem Rücken, daneben die Männer in hellen Hemden.
Die Menschen singen aus voller Kehle, sie schwin­gen im
Takt, manche haben verzückt die Augen geschlossen und
recken die Hände in die Luft. Ich spüre, wie mein ganzer
Körper vibriert.“
Die Ethnologin und Religionswissenschaftlerin Birgit
Meyer kann sehr anschaulich von ihrer Feldforschung als
teilnehmende Beobachterin berichten. Seit einem Viertel­
jahrhundert reist Meyer immer wieder nach Ghana. Sie hat
die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Um­wäl­zun­
gen der letzten Jahre erlebt und den gleichzeitigen Auf-
schwung der christlichen Pfingstkirchen in Ghana und
anderen afrikanischen Staaten genau beobachtet.
„Beides hängt eng miteinander zusammen, es sind Reak-
tionen auf die Globalisierung“, fasst die international
renommierte Professorin von der Universität Utrecht
ihre Hypothese zusammen. Sie arbeitet derzeit am Zen­
trumModerner Orient (ZMO) in Berlin, um das religiöse
Spektrum Westafrikas möglichst umfassend zu erfor-
schen – neben der christlichen zählen auch muslimische
Strömungen dazu. Ermöglicht wird die intensive Koope-
ration mit dem ZMO durch Mittel aus dem Anneliese
Maier-Forschungspreis der Humboldt-Stiftung, mit dem
Birgit Meyer im Jahr 2012 ausgezeichnet wurde.
UNGLAUBLICHE VERÄNDERUNGEN
Die Macht
der neuen religiösen Strömungen wurde der Wissenschaft­
lerin schlagartig bewusst, als sie Ghana Mitte der 1990er-
Jahre besuchte. Sie war einige Jahre nicht mehr dort
gewesen. In der Zwischenzeit hatte das Land eine demo-
kratische Verfassung angenommen, die Staatsunternehmen
waren privatisiert worden und es herrschte Pressefrei­heit.
„Es hatte sich unglaublich viel verändert“, berichtet Meyer.
Wo früher kleine Läden waren, standen jetzt riesige Ein-
kaufszentren, wo man auch hinkam, stieß man auf bunte
Werbeplakate und im Fernsehen verkündeten Prediger
das Evangelium auf ihre Weise.
Überall schossen Pfingstkirchen aus dem Boden, mit
fantasievollen Namen wie International Central Gospel
Church, Christian Action Faith Ministries oder Pentecost
International Worship Center. „Von Anfang an verstanden
sie es, sich die Medien geschickt zunutze zu machen“,
berichtet Birgit Meyer. Die Musikbranche brachte Gospel­
sammlungen unters Volk und die aufblühende Filmindus-
trie produzierte Geschichten mit christlichen Inhalten,
sogenannte
hallelujah movies.
Damals, sagt Meyer, habe
eine Verpfingstlichung der Kultur begonnen, die bis
heute anhält.
Die Wurzeln der neuen christlichen Kirchen reichen
zurück in die Zeit der Missionierung Westafrikas im
19. Jahrhundert. Ihre Gottesdienste erinnern allerdings
nur noch entfernt an die Liturgie katholischer oder pro-
testantischer Prägung. Die Pfingstler tanzen und sprechen
in fremden Zungen, es gibt Dämonenaustreibungen und
Heilungsrituale – der Körper wird zumMedium des Heili­
gen Geistes. Dabei geht es um ganz praktische Dinge:
Wenn ein Gemeindemitglied ein Visum für Europa
braucht, ein Paar keine Kinder bekommt, ein Familienmit­
glied krank ist, dann besucht man ein
crusade
, eines der
laufend stattfindenden Gebetstreffen. „Die Menschen
Foto: Birgit Meyer
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