Humboldt
kosmos
101/2013
Oben
ist
noch
Platz
Am IBM Forschungszentrum
in Zürich schmückt man
sich gernmit der erfolgreichen Physikerin Heike Riel. Als die Technische
Universi­tät München vor einem Jahr mit einer Humboldt-Professur
winkte, waren ihre Chefs sofort alarmiert. Sie ernannten die Professorin
zum IBM Research Fellow und verliehen ihr damit die höchste Aus-
zeichnung der Firma. Ein Fellow hat fünf Jahre lang alle Freiheiten und
ein stattliches Forschungsbudget – ganz wie die Humboldt-Professoren.
Heike Riel sagte in München ab und blieb in Zürich. „IBMwollte diese
Forscherin auf keinen Fall verlieren, was ich gut verstehe“, sagt Helmut
Schwarz, der Präsident der Alexander von Humboldt-Stiftung. Er
kennt den Kampf um die raren Spitzenwissen­schaftlerinnen.
Unter dem Druck von Gesellschaft und Politik machen sich die Wis-
senschaftsorganisationen untereinander Konkurrenz und auch die
Wirtschaft bietet mit. Das führte bei der Humboldt-Professur dazu,
dass zwischen 2009 und 2013 nur zwölf Frauen gegenüber 139 Män-
nern nominiert wurden, was einem Anteil von noch nicht einmal
neun Prozent entspricht. Tatsächlich angetreten haben ihre Professur
in diesem Zeitraum 34 Männer und nur eine Frau – neben Heike Riel
entschied sich eine weitere Kandidatin für das attraktive Bleibeangebot
ihres Heimatinstituts.
„Der Frauenanteil ist uns zu gering, selbst wenn man bedenkt,
dass es in dem Topsegment, aus dem sich die Humboldt-Professuren
rekru­tieren, nicht sehr viele Frauen gibt“, sagt Helmut Schwarz. In
Deutschland sind nur elf Prozent der Spitzenposten außeruniversitärer
Forschungseinrichtungen an Frauen vergeben und an den Universitäten
beträgt ihr Anteil bei den W3-Lehrstühlen lediglich 15 Prozent.
Ähnlich sieht es im übrigen Europa aus und selbst in den USA ist
es nur leicht besser: Rund 25 Prozent der Full Professors sind dort
weiblich (siehe Grafik).
EINSAME FRAUEN
 „Überall auf der Welt verlieren junge
Wissen­schaftlerinnen ihren Mut und geben auf“, sagt Emmanuelle
­Charpen­tier. Die französische Molekularbiologin wird ihre Humboldt-
Professur im Januar 2014 antreten, als zweite Frau seit Beginn des
Programms. Zuvor forschte die 45-Jährige in den USA, Frankreich,
Österreich und Schweden. Sie kennt die Einsamkeit der weiblichen
Postdocs, die – anders als ihre männlichen Kollegen – meist ohne
Partner ins Ausland gehen, um in einem renommierten Institut Meriten
zu sammeln. Die Postdoc-Zeit, die für viele mit Anfang 30 beginnt,
ist die anstrengendste und unsicherste Phase in einem Forscherleben.
Was es bedeutet, wenn gerade dann der Rückhalt zu Hause fehlt,
kommt in der akademischen Gender-Debatte bisher kaum vor. Und
wenn, dann im Zusammenhang mit anderen sogenannten weichen
Faktoren: den Gleichstellungsdefiziten in
Deutschland oder der mangelnden Verein-
barkeit von Familie und Beruf.
Für eine junge Forscherin kann das alles
zu viel sein. Die Gefahr ist groß, dass sie
ihre akademische Karriere zwischen Pro-
motion und erster Berufung abbricht. Wie
die She-Statistik der EU-Kommission zu
Frauen in der Wissenschaft von 2012 zeigt,
liegt der Frauen­anteil unter den Studieren-
den Europas derzeit bei 55 Prozent. Bei den
Ab­solventen sind es sogar 59 Prozent, bei
Doktoranden immerhin 46 Prozent und
bei Professoren aller Stufen zusammen nur
noch 20 Prozent.
Das viel zitierte Leck in der Pipeline
schließt sich nur langsam – trotz erhöhter
Gleichstellungsaktivitäten. Dazu gehört das sogenannte Kas­ka­den­
modell, auf das sich die deutschen Wissenschaftsorganisationen im
Jahr 2011 verständigt haben: Demnach sollen Frauen im Aufstiegs­
prozess so zum Zuge kommen, wie sie auf der jeweils vorher­gehenden
Stufe vertreten sind. Aber leider entsprechen die bisherigen Ergebnisse
Spitzenforscherinnen sind rar, auch bei der
Humboldt-Professur. Was Wissenschaft und
Stiftung gegen den Mangel tun.
Text
 lilo berg
Helmut Schwarz,
Präsident der Alexander von Humboldt-Stiftung
Schwerpunkt
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„IBM wollte seine
Forscherin auf
­keinen Fall
verlieren, was
ich gut verstehe.“
Foto: David Ausserhofer
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