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Humboldt
kosmos
101/2013
noch nicht den Erwartungen. Die Forschungseinrichtungen müssten
sich deutlich mehr als bisher einfallen lassen, rügten im Sommer die
Wissen­schafts­minister von Bund und Ländern. Unüberhörbar steht
dahinter die Drohung, eine feste Quote einzuführen.
Emmanuelle Charpentier lehnt die Frauenquote ab. Das wäre eine
positive Diskriminierung vonWissenschaftlerinnen, die ihrer An­sicht
nach mehr schadet als nützt. Schon jetzt spürt die Französin unaus-
gesprochene Vorbehalte: „Die Kollegen denken, die hat den Posten
doch nur bekommen, weil sie eine Frau ist.“ Aber davon will Charpen­tier
sich nicht beirren lassen. Sie ist überzeugt, dass Frauen in der Wissen-
schaft genauso gut sein können wie Männer: „Und was letzten Endes
zählt, ist doch die Qualität der Arbeit.“
Es ist eine schwierige Übergangssituation mit hohen Zielzahlen
einerseits und einer kleinen Zahl von Spitzenforscherinnen anderer-
seits. Diese haben zwar Chancen wie nie, sind aber auch enormen
Erwartungen ausgesetzt: im Labor, als Vorbilder für junge Frauen, in
der Gremienarbeit. Auch die Forschungsorganisationen stehen vor
großen Heraus­forderungen: Sie müssen mehr weiblichen Führungs-
nachwuchs für morgen ausbilden und auf dem knappen Markt von
heute die besten Forscherinnen für sich gewinnen.
Hier sind neue Ideen gefragt. Die Alexander von Humboldt-Stiftung
zum Beispiel schlägt vor, zusätzliche Mittel für die Humboldt-Professur
bereitzustellen: für den Fall, dass eine Berufung nur gelingt, wenn
auch der Partner oder die Partnerin des Preisträgers eine Professur
erhält. Gerade herausragende Forscherinnen haben oft einen wissen-
schaftlich hoch qualifizierten Partner.
Neue Strategien bei der Rekrutierung werden an der Technischen
Universität Berlin erwogen. Deren Präsident Jörg Steinbach würde
gern einschlägig erfahrene Headhunter, die der universitären Kultur
In akademischen Spitzenämtern sind Frauen nach
wie vor unterrepräsentiert, wie dieser ungefähre
Vergleich zwischen Deutschland, 27 EU-Staaten
und den USA zeigt. Die Angaben beziehen sich auf
die jeweils höchstrangige Professur der erfassten
Länder, in Deutschland wäre das C4/W3.
Natur­wissen­
schaften
Ingenieur- und
Technikwissen­
schaften
Ingenieurwissen­
schaften (USA)
Naturwissenschaften,
Informatik,
Mathematik (USA)
Medizin
Agrarwissen­
schaften
Lebenswissen­
schaften (USA)
Sozialwissenschaften
und Psychologie (USA)
Sozialwissen­
schaften
Geisteswissen­
schaften
DE
1
EU
1
USA
2
Top-Wissenschaftlerinnen
Wie groß ist der Frauenanteil unter den höchstrangigen Professoren?
9,8
5,9
9,2
12,6
25,2
13,5
13,7
7,9
17,8
19,4
28,4
%
15,5
15,7
7,5
32,7
36,6
1 She-Statistik der EU-Kommission, 2012
2 National Science Foundation, 2008
nahestehen, mit der Suche nach qualifizierten Frauen beauftragen:
„Wir müssen auch im außerdeutschen Sprachraum suchen, etwa in
Skandinavien, wo es viele exzellente Ingenieurwissenschaftlerinnen
gibt.“ Den Wettbewerb mit der Wirtschaft um Spitzenforscherinnen
sieht Steinbach gelassen: „Familie und Kinder sind mit einer Profes-
sorenstelle oft besser in Einklang zu bringen als mit einemVorstands-
posten.“
HOFFEN AUF DIE TRENDWENDE
 In der nächsten Wissen-
schaftlergeneration könnte es schon paritätischer zugehen. In der
Altersgruppe unter 40 Jahre sind viele herausragend qualifizierte
Wissenschaftlerinnen, von denen einige es vielleicht bis an die Welt­
spitze bringen. Voraussetzung wäre jedoch, dass sie sich demWettbe-
werb dauerhaft aussetzen wollen. Emmanuelle Charpentier hat da
ihre Zweifel. Nachwuchskräfte beiderlei Geschlechts, berichtet sie,
scheuen oft die Leitung einer Gruppe, weil ihnen das zu viel ist: „Viel-
leicht ist diese Generation etwas bequemer.“
Andere Erfahrungen macht die Humboldt-Stiftung mit ihrem
Sofja Kovalevskaja-Programm. Der Preis fördert junge Forscher, die
als Gruppenleiter am Anfang ihrer Karriere stehen. Die Bewerber-
zahlen steigen kontinuierlich und der Frauenanteil unter den Geför-
derten ist hoch, aktuell liegt er bei 50 Prozent. Statt im zweijährigen
Takt würde die Humboldt-Stiftung die Auszeichnung künftig gern
jährlich vergeben. Die Preisträgerinnen könnten die Humboldt-Pro-
fessorinnen von morgen sein.
Ob die Trendwende schon in Sicht ist? Die Auswahlliste für die
Humboldt-Professur 2014 verzeichnet neben siebenMännern immer-
hin schon drei Frauen. Emmanuelle Charpentier hat fest zugesagt.
Die beiden anderen Forscherinnen müssen sich noch entscheiden.
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