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M i t t wo c h , 1. D e z emb e r 2 010
B a h n b e i l a g e
Raufeld/Gerd Metzner
Chronik
1990
In Ostberlin findet die konstituie-
rende Sitzung der deutsch-deut-
schen Kommission „Verkehrpro-
jekte Deutsche Einheit“ statt, die
sich mit der Wiederherstellung der
grenzüberschreitenden Verkehrs-
verbindungen und der mittel- und
langfristigen Verkehrswegepla-
nung befasst.
1991
Nach der Wiedervereinigung
Deutschlands beschließt die Bundes­
regierung die „Verkehrsprojekte
Deutsche Einheit“. Die Manage­
mentgesellschaft (heute DB Pro-
jektBau GmbH) der Deutschen Bahn
AG startet die Planung des
Verkehrs­projektes „Deutsche Ein-
heit Nummer 8“. Das Vorhaben
gliedert sich in drei Abschnitte: 8.1,
8.2 und 8.3.
2006
Der Abschnitt 8.3 wird im Mai für
200 km/h in Betrieb genommen:
Er ist 187 Kilometer lang und führt
von Leipzig/Halle nach Berlin in
den neu errichteten Hauptbahnhof.
2010
Zwischen Nürnberg und Fürth gibt
es Ende 2010 – nach umfang-
reichen Gleisbauarbeiten und der
Inbetriebnahme neuer Stellwerks-
technik – drei neue Gleise. Damit
kann der S-Bahnverkehr zwischen
Nürn­berg und Bamberg starten.
2015
Geplante Inbetriebnahme der
123 Kilometer langen Neubaustre-
cke von Erfurt nach Leipzig/Halle.
Bereits im Juni 2003 wurden von
dieser Strecke 23 Kilometer fertig-
gestellt, die Gröbers/Flughafen,
Leipzig/Halle mit Messe Leipzig
und Leipzig Hbf verbinden.
2017
Geplante Fertigstellung von
107 Ki­lometern Neubaustrecke
zwischen Ebensfeld und Erfurt mit
dem Anschluss an das bestehende
Streckennetz. Damit ist der leis­
tungsfähige Verkehr in Süd-Nord-
Richtung von (München)-Nürnberg
durch den Thüringer Wald über
den Mitteldeutschen Ballungsraum
bis nach Berlin möglich.
Prognostizierte Reisezeiten
Halle – Erfurt
ca. 31 Minuten
Zeitersparnis
ca. 50 Minuten
Halle – Nürnberg ca. 100 Minuten
Zeitersparnis
ca. 100 Minuten
 D
er Ausbau des Schienennetzes ist sel-
ten eine kleine Baustelle. Auch beim
Verkehrsprojekt Deutsche Einheit
Nummer 8 (VDE 8) handelt es sich um eine
Mammutaufgabe. Es wurde im Jahre 1991
von der Bundesregierung beschlossen und
wird erst eine Generation später fertigge-
stellt sein. Das europäische Infrastruktur-
projekt verbindet Berlin mit Nürnberg, ist
aber als östliche Nord-Süd-Achse auch für
den Transport von Skandinavien nach Nord­
italien von Bedeutung.
Der ICE wird auf der neuen Trasse mit
300 Kilometern pro Stunde fahren können.
Ende 2015 soll der nördliche Streckenab-
schnitt von Erfurt nach Halle und Leipzig
fertig sein, zwei Jahre später die Durchque-
rung des Thüringer Walds von Erfurt nach
Ebensfeld in Bayern. Statt bislang sechs
Stunden werden Bahnreisende von Berlin
nach München dann nur noch vier Stunden
benötigen.
Neben der Zeitersparnis für innerdeut-
sche Reisende hat die Strecke ebenso inter-
nationale wirtschaftliche Bedeutung: „Als
Teil der Transeuropäischen Netze wird
VDE 8 von der Europäischen Union geför-
dert. Denn neben Reisezügen wird auch der
Güterverkehr beschleunigt“, sagt Frank
Kniestedt, Sprecher der Deutschen Bahn.
Als umwelt- und klimafreundliche Ver-
kehrsachse verbindet die Magistrale auch
die Ostsee über Berlin und München mit
Süd- und Südosteuropa.
Bis dahin gilt es sprichwörtlich Berge
zu versetzen: Insgesamt 500 Kilometer
Trasse werden bei dem Projekt neu- oder
ausgebaut. Über zehn Milliarden Euro in-
vestieren Deutschland, Europa und die
Deutsche Bahn in das größte Infrastruktur-
vorhaben des Landes. Derzeit sind im Ge-
samtprojekt 3500 Bauleute im Einsatz.
„Ursprünglich ging es vor allem um die
Überwindung der Teilung Deutschlands.
Heute ist die neue Bahnstrecke auch ein
europäisches Vorzeigeprojekt“, schwärmt
der VDE 8-Gesamtprojektleiter Olaf Dre-
scher. „Hier wird erstmalig nach neuen
europäischen Standards gebaut: Signaltech-
nik, Oberleitungen, Sicherheitsbeleuchtung
sowie Telekommunikationsanlagen ent-
sprechen nicht nur dem neuesten Stand der
Technik, sondern sollen zudem sicherstel-
len, dass auch Züge anderer europäischer
Staaten ohne technische Umrüstung die
Strecke befahren können.“
Hinzu kommen auch bautechnische
Meis­terleistungen wie die 39 Brücken. Da-
runter die Brücke „Froschgrundsee“, die
mit ihrem 270 Meter weiten Bogen eine
Rekordspannweite in Europa vorweisen
kann. Die 27 neuen Tunnel, die auf der Ge-
samtstrecke entstehen, verlangen ebenfalls
bauliche Höchstleistungen.
Doch die technischen Superlativen ste-
hen nicht für sich allein. Neben den He-
rausforderungen, die sich aus der Land-
schaft ergeben – so etwa die Durchquerung
des Thüringer Waldes mit seinen zahl-
reichen Naturschutzgebieten –, steht auch
die Bemühung, eben diese Landschaft zu
bewahren. Ziel ist es, so wenig wie möglich
in die Umwelt einzugreifen und dort, wo
dies für den Bau notwendig ist, die Eingriffe
durch gezielte Maßnahmen auszugleichen.
Dazu gehört zum Beispiel die Aufwertung
eines Trockenrasensmit Orchideenbewuchs
in der geschützten Dissau-Rinne im Un-
struttal. Insgesamt umfassen die Natur-
schutzmaßnahmen mehr als 30 Quadratki-
lometer Fläche. Der projektbegleitende
Landschaftsbau wurde bereits vor dem
Trassenbau durchgeführt, um den betrof-
fenen Biotopen rechtzeitig Ausweichmög-
lichkeiten zu bieten.
Doch nicht nur auf die Tier- und Pflan-
zenwelt nehmen die Bauarbeiten Rücksicht:
Die Anwohner erhalten entsprechend der
strengen gesetzlichen Regelungen umfang-
reichen Schallschutz durch absorbierende
Wände, spezielle Fenster oder – wie im Be-
reich Bad Lauchstädt – durch eine Trassen-
führung in einem über 10 Meter tiefen Ein-
schnitt.
Auch die europäische Geschichtsfor-
schung profitiert vom Trassenbau. Auf der
Querfurter Platte kamen noch vor den Bag-
gern die Archäologen zum Zug. Zehntau-
sende Fundstücke haben die Fachleute in-
nerhalb von zwei Jahren entlang der künf-
tigen Strecke geborgen; die ältesten Relikte
sind 7300 Jahre alt! So wird der europä-
ische Schienenverkehr in naher Zukunft
nicht nur durch eine schöne, sondern auch
durch eine besonders geschichtsträchtige
Landschaft führen – und als Teil des Bahn-
Sys­tems die großen Ballungszentren schnell
und umweltfreundlich verbinden.
Deutschlands längste
Baustelle im Herzen Europas
Die neue Bahntrasse führt von Skandinavien über Halle nach Südeuropa.
Endspurt: Viele Brücken und Tunnel sind bereits fertig. Längs der Strecke sind alle Gewerke im Einsatz.
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