Von Dieter GoLombek
cornelius Riewerts ist am 6. Februar im Alter
von 71 Jahren verstorben. er war von 1984
bis 2003 chefredakteur der
Oldenburgischen
Volkszeitung (OV)
in Vechta, gehörte von 1985
bis 1990 dem Projektteam Lokaljournalisten
an und wirkte von 1988 bis 2012 in der Jury
des Deutschen Lokaljournalistenpreises der
konrad-Adenauer-Stiftung.
Wie viel Poesie verträgt die Tageszeitung? Eine
müßige Frage, wie es scheint, denn Gedichte
gehören nicht in die Zeitung. Der Chefredak-
teur Cornelius Riewerts hat diese Regel am
4. Dezember 1998 für einen Tag außer Kraft
gesetzt. Ganz ohne Vorwarnung überfällt die
Oldenburgische Volkszeitung
ihre Leser mit
Poesie in allen Formen, platziert Rilke neben
den Kindergeldausgleich und Krolow neben
die Geiselnahme, ein Gedicht schmückt fast
jede Zeitungsseite, auch der Anzeigenteil bleibt
nicht verschont. Eine Zeitung macht Lust auf
Lyrik. „Die Poesie ist die edelste Verwandte
des Journalismus“, verkündet der Chefre-
dakteur kühn und weiß, wie wenig routinierte
Berichterstattung dafür taugt, sich poetischen
Anwandlungen hinzugeben.
In dieser Aktion steckt der ganze Riewerts.
„Zuverlässig in Überraschungen zu investie-
ren“, diesen Generalauftrag hat der Kommu-
nikationswissenschaftler Klaus Schönbach
zwei Jahrzehnte später der Zeitungsbranche
ins Stammbuch geschrieben. In diesem Sinne
hat Riewerts immer wieder sehr viel investiert.
Er ging gerne vorweg mit seinen Ideen und
Aktionen. Er war ein Anführer, er wusste seine
Mannschaft mitzunehmen, er konnte überzeu-
gen, er konnte begeistern: ein Chefredakteur
mit Charisma.
Sein Arbeitsalltag in Vechta war hart. Er
leitete eine der kleinsten Vollredaktionen der
Republik. Mit seiner sehr überschaubaren
Mannschaft bediente er Tag für Tag alle klas-
sischen Ressorts. Die Hauptaufgabe geriet
nie aus dem Blickfeld: Die
Oldenburgische
Volkszeitung
ist eine Zeitung aus der Region
für die Region, eine Heimatzeitung. Riewerts
macht die
OV
zu einer Zeitung mit Gesicht. Er
verpasst ihr eine intelligente Grundordnung,
entwickelt und pflegt originelle, heimatbe-
zogene Rubriken ebenso wie die Kultur der
kurzen Texte. In diesen kurzen Texten war
Riewerts zu Hause. Seine Glossen sind Meis-
terstücke, sie gehören in die Lehrbücher: eine
Edelfeder in Vechta.
Weit über die Grenzen des Verbreitungs-
gebietes seiner Zeitung hat Riewerts Spuren
im deutschen Lokaljournalismus hinterlassen,
und zwar gerade in einem Bereich, in dem es
gar nicht so poetisch zugeht. Seine Leiden-
schaft galt dem politischen Lokaljournalismus.
Auf seine Initiative gingen drei herausragende
Modellseminare der Bundeszentrale für poli-
tische Bildung zurück, die sich dem Themen-
komplex „Parteien – Demokratie – Lokaljour-
nalismus“ stellten. Die Ergebnisse haben sich
vielfältig publizistisch niedergeschlagen, seine
Ideen haben Karriere gemacht. Gute Beispiele
von Riewerts-Schülern aus der ganzen Repu-
blik hat die
drehscheibe
kontinuierlich vorge-
chefredakteur mit charisma
Anfang Februar verstarb Cornelius Riewerts. Ein Nachruf.
Hat unverwechselbare Spuren im Lokaljournalismus
hinterlassen: Cornelius Riewerts.
stellt, und heute noch erreichen Einsendungen
den Deutschen Lokaljornalistenpreis, die auf
die geistige Urheberschaft des Chefredak-
teurs aus Vechta verweisen. Riewerts war eine
der prägenden Figuren im Lokaljournalisten-
programm der Bundeszentrale für politische
Bildung.
„Das Leben ist eine Geschichte. Man
muss sie gut erzählen können, um gelebt zu
haben.“ Dem israelischen Autor Elazar Ben-
yoetz verdanken wir diese Erkenntnis. Corne-
lius Riewerts war ein großartiger Erzähler, er
hatte Bildung, er hatte Lebensart, er konnte
Geschichten einen Sinn geben, auch seiner
eigenen. Er hat also gelebt. In den Herzen und
in den Köpfen der Menschen, die ihn erlebt
haben, wird er weiterleben.
Ferdinand Kokenge
13
Nummer 3, 1. März 2012
nachruf
DOSSIER
1...,3,4,5,6,7,8,9,10,11,12 14,15,16,17,18,19,20,21,22,23,...32