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B e r l i n e r Z e i t u n g · N u m m e r 1 9 7 · 2 5 . A u g u s t 2 0 1 0
Die Zukunf t i st 3-D
D 2
S
eit etlichen Jahren nun schon wird das Kino von
einer neuen Technologie herausgefordert, dem
dreidimensionalen oder stereoskopischen Film.
Das kennenwir schon, sagen die Filmhistoriker und ver­
weisen auf frühere„Wellen“, indenendie Kinos verloren­
gegangenen Publikumszuspruchmit einem„Raumkino“
zurückerobern wollten, und die dann wieder abebbten,
als das Publikum es leid war, sich durch unkleidsame
Brillen mit Indianerspeeren bewerfen oder in geöffnete
Haifisch-Schlünde ziehen zu lassen.
Doch etwas ist diesmal anders: Der stereoskopische
Film scheint sich zu etablieren, wenn auch vielleicht
nicht mit der schnellen Marktmacht, wie es sich die
Produktionsfirmen vorstellen, so doch mit einer gewis­
sen Beharrlichkeit, die auf mehr schließen lässt als auf
einen bloßen Medien-Hype. Vielleicht sind wir ja wirk­
lich reif für eine radikaleVeränderung unseres Bild- und
Wahrnehmungsraumes.
Die Fotografie und der Film waren von ihren Erfin­
dern von Anfang an als dreidimensionale Einrichtung
gedacht. Schon bevor der Film auf die Leinwand proji­
ziert wurde, sah der Besucher eines Nickelodeons in den
Guckkästendreidimensionale fotografische Bewegungs­
bilder, boxende Kängurus oder Tanz im Savoy. Thomas
Alva Edison stellte 1891 seinen Kinetographen vor, und
für ihn und seine Mitstreiter war von vorneherein klar,
dass den mit dem Kinetographen aufgenommenen Fil­
men auch ein stereoskopischer Effekt gegeben werden
sollte. Und 1915 wurde im Astor in New York der erste
dreidimensionale Film auf die Leinwand projiziert. Re­
gisseur war Edwin S. Porter, der zwölf Jahre zuvor mit
„The Great Train Robbery“ denWestern erfunden hatte,
und der Filmzeigte, höchst beeindruckendwie das zeit­
genössische Publikum fand, die Niagara Fälle und Sze­
nen aus dem ländlichen Amerika.
Räumlicher als die Räumlichkeit
Man kann also sagen: Dem landläufigenModell, nach
demder 3-D-Effekt immermal wieder – und amehesten
ineiner ökonomischenoder kulturellenKrise – demKino
aufgepfropft wurde, um dann so schnell wieder zu ver­
schwinden wie die „Sensation“ auftauchte, kann man
ein anderes entgegensetzen, nach demdas Kino immer
dreidimensional sein wollte, die entsprechende Tech­
nologie aber aus eher ökonomischen und kulturellen
Gründen immer wieder zurückstellte.
Die kinematografische Räumlichkeit hat indes nur
sehr wenig mit dem räumlichen Sehen in der Wirklich­
keit zu tun; sie entwickelt eine andere, künstliche Räum­
lichkeit. So wie das Bild „wirklicher als dieWirklichkeit“
ist, ist dieses Bild„räumlicher als die Räumlichkeit“. Eine
Räumlichkeit, deren Effekt sich rasch verbraucht, für
deren Füllung aber bislang noch wenig narrative und
ikonografische Modelle existieren. Man muss lernen,
anders zu erzählen, und die bisherige Geschichte des
stereoskopischen Films ist unter anderemdie Geschich­
te des Lehrgeldes, was man dafür zu bezahlen hatte: Als
das Fernsehen zu einem ernstzunehmenden Konkur­
renten des Kinos wurde, waren es nicht so sehr die an­
erkannten Filmkünstler, sondern fleißige Handwerker,
die Abenteuerfilme, Science Fiction und Western mit
3-D-Effekten versahen und mit sensationellen Ankün­
digungen auf den Markt brachten. Der Horrorfilm
„House ofWax“ von 1953, ironischerweise von demein­
äugigen Regisseur André de Toth inszeniert, der die Ef­
fekte seines Filmes nie selber nachvollziehen konnte,
spielte die für damaligeVerhältnisse sensationelle Sum­
me von 4,5 Millionen Dollar ein und heizte den Boom
noch einmal tüchtig an. Auch Regisseure, die nicht viel
mit dem technologischen Schnickschnack anzufangen
wussten, wieAlfredHitchcock,musstennun stereoskope
Versionen ihrer Filme fertigen. Fatal erwies sich in dieser
Zeit aber vor allem etwas, was auch in der Gegenwart
dem3-D-Filmeher schadet als nützt, nämlich dassman
Filme mit demVerfahren „aufzuwerten“ versuchte, die
dafür gar nicht geeignet waren, und daher das Publikum
enttäuschen musste.
Für das„gewöhnliche“ Kinowurde 3-Derneut attrak­
tiv, als es technologisch vereinfacht und ökonomisch
erschwinglich wurde. Im Jahr 2005 zeigte Walt Disney
den ersten Film in der neuen Real-D-Technologie, den
computeranimierten „Himmel und Huhn“, der nur ei­
neneinzelnendigitalenProjektor benötigt, der in rascher
Folge abwechselnd die Bilder für das rechte und das
linke Auge projiziert. Da das Publikumnun durch zirku­
lär polarisierte Brillen sah, musste man nicht mehr, wie
zuvor, den Kopf in starrer gerader Haltung lassen, um
den 3-D-Effekt zu genießen. Ein enormer Zuwachs an
Bequemlichkeit und „Natürlichkeit“ bei der Wahrneh­
mung.
Es war die Digitalisierung desMediums, die der neu­
erlichen Ausweitung in das Raumbildliche half. Die
meisten digitalen Abspielstellen rüsteten sich in diesen
Jahren auch auf 3-D auf. Dass sogar einigermaßen
­trashige Horrorfilme neben den Animationsfilmen in
den 3-DVersionendas vielfache ihrer Produktionskosten
einspielten, beflügelte die Produktion, und im Jahr 2009
kamen die beiden Filme in die Kinos, die durch ihren
Erfolg die endgültigeDreidimensionalisierung des Films
zu bestätigen schienen, der Kinderfilm „Monsters vs.
Aliens“ und der nicht ganz so kindliche, philosophische
Fantasy-Science-Fiction „Avatar“ von James Cameron.
Beide Filme bewiesen einem großen Publikum, dass es
Geschichten gibt, die man in der Tat in einem dreidi­
mensionalen Raumbesser erzählen kann, Geschichten,
in denen der Raum selber eine wichtige Rolle spielt.
Stereoskopie und digitale Animation gehen eineVer­
bindung ein, auf den ersten Blick eher der Ästhetik des
Computerspiels als des klassischen Spielfilms gehor­
chend, die man genauso gut wie als Fortsetzung des
Kinos als eigenständiges Medium betrachten könnte.
Wie beimComputerspiel geht es erst in zweiter Linie um
Charaktere und Plot; imVordergrund steht dagegen die
Errichtung einer„Welt“, einer dreidimensionalen„künst­
lichen Wirklichkeit“ mit eigenen Gesetzen der Logik,
eigenen „Naturgesetzen“, eigenen Vorstellungen von
Zeit, Raum und Subjekt. Für die Zuschauer scheint es
nunwichtig, sich in dieser virtuellenWelt vergleichswei­
se frei zu bewegen, es ist daher wichtig, dass die Charak­
tere nicht allzu komplex und „schwer“ sind und dass
einem der Plot nicht den Atem für das Staunen nimmt.
Filme wie „Avatar“ oder „Oben“ zeigen denn auch, dass
es weniger die großen Effekte sind, die üblichen Gegen­
stände, die auf den Zuschauer geworfen werden, als
vielmehr filigranere und ornamentalere Anordnungen
imRaum. Denndieser Raumist imWortsinne ein„Kunst-
Raum“, der sich keineswegs mit einfachen Folgen von
Aktion und Reaktion erschöpft. Aus mehreren Gründen
erfordert die Dreidimensionalität eine Verlangsamung
der Erzählung, zum einen, weil es für den Zuschauer
schwieriger ist, sich in diesem skulpturalen Geschehen
zurecht zu finden und man also mehr „Lesezeit“ für die
Einstellungen benötigt, zum anderen aber, weil dieser
Kunstraum den Dingen eine andere Dauer verleiht.
Wenn das dreidimensionale Kino nicht allein durch pu­
res ökonomisches Interesse, sondern durch wirkliche
neue Möglichkeiten durchgesetzt werden soll, dann
muss noch erhebliche kreative Energie aufgewandt wer­
den und das eine oder andereWagnis unternommen.
Aber vielleicht ist es auch gar nicht so sehr das Kino,
in dem sich das dreidimensionale Bewegungsbild zu
einem kulturellen und ökonomischen Standard entwi­
ckelt. Die audiovisuelle Heimtechnologie wartet darauf,
stereoskop erneuert zu werden. Blue-ray, Fernsehen,
und vor allem das Computergame sind auf Dauer wirt­
schaftlich interessanter als das Kino. Wir werden nicht
mehr lange auf stereoskopische Bilder auf unserenCom­
puterbildschirmen und Handy-Displays warten. Das
Vergnügen ein Bundesliga-Fußballspiel auf einem 3-D-
Bildschirm zu verfolgen, ist in der Tat nicht mehr ein
Ersatz für ein Live-Ereignis, sondern übertrifft jede Art
von „wirklichem“ Zuschauen. Es ist daher abzusehen,
wie rasch auch diesmal das Kino gegenüber den „Kon­
kurrenten“ die Vorreiter- und Avantgarde-Position ver­
liert. Vermutlich wird dies zu einer noch größeren Me­
dienvernetzung führen.
Bildraum und Lebensraum verschmelzen
Schon gibt es die ersten Stereo-Consumer-Kameras,
mit denen man passable 3-D-Fotografien und Video-
Sequenzen aufnehmen kann, und der Markt für die
„semi-professionellen“ oder „mittelständischen“ An­
wendungen ist für die Hersteller viel zu attraktiv, um
ihn nicht sehr rasch zu bedienen. Das stereoskopische
Bild entwickelt sich auf demMarkt der Alltagskommu­
nikation möglicherweise schneller als es das auf dem
doch immer noch sehr schwerfälligen Gebiet der Kino­
herstellung tut. Und so könnte es passieren, dass 3-D-
Bilder schneller „selbstverständlich“ sind als dass sie
künstlerisch auserprobt wurden.
Früher oder später wird eine Öffnung zwischen dem
neuenBildraumund demLebensraumderWirklichkeit,
vielleicht eine Art der Verschmelzung stattfinden. In
naher Zukunft, so verkünden es die Propheten der ver­
besserten Bildwelt, muss niemandmehr in seiner lang­
weiligen Wirklichkeit bleiben, vorm Großstadtfenster
rauscht der Ozean, der Familienhund wird zum außer­
irdischen Wesen und die Nachbarin sieht aus wie
­Marilyn Monroe.
Und gegenüber dem, was die Theoretiker und Bild­
entwickler schon den „Big Bang“ der neuen Bilder be­
zeichnen, eine radikalereUmgestaltung des Sehens und
des Abbildens, des Erlebens und Erkennens als wir sie
uns noch vorstellen können, ist das Kino immer noch
ein wohlig altmodischer, geborgener und ordentlicher
Ort, auch wenn gerade Monster und Müll von der Lein­
wand auf uns zufliegen oder seltsameWesen so nahe vor
unseren Augen auftauchen, dass wir unwillkürlich nach
ihnen greifen.
I n h a l t
Chronik
Seite D3
150 Jahre Geschichte in 3-D.
Astronomie
Seite D4
Reise in die dritte Dimension des Alls.
Medizin
Seite D8
Plastische Körperwelten.
Ausbildung
Seite D9
Die digitale Zukunft nimmt Gestalt an.
Training
Seiten D10 / D11
Simulierter Ernstfall in 3-D.
Fernsehen
Seite D13
Hugo Egon Balders Erben.
Videospiele
Seite D14
Spieler und Spielwelten verschmelzen.
Fahrzeugtechnik
Seite D15
Die wichtigsten Informationen im Blick.
Elektronik
Seiten D16 / D17
Neue 3-D-Fernseher, Kameras und Camcorder.
Praxis
Seite D20
Wie man selbst 3-D-Fotos gestaltet.
Einrichtung
Seite D21
Visionen für das Eigenheim.
Interview
Seite D22
Wie 3-D-Technik die mediale Welt verändert.
I M P R E S S U M
Berliner Zeitung
Chefredakteur: Dr. Uwe Vorkötter
Stellv. Chefredakteurin: Jutta Kramm
Berliner Verlag GmbH
Geschäftsführer:
Heinz Kiegeland, Oliver Rohloff
Anzeigenleiter:
Oliver Hauf (stellv. Geschäftsführer)
Projektverantwortlich: Cerstin Almonat
Verlag: Postadresse 10171 Berlin
Druck:
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3-D-Umsetzung Anzeigenmotive:
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Redaktion/Produktion:
Paul-Lincke-Ufer 42/43 - 10999 Berlin
Tel. 030/69 56 65 0
Redaktion: Jan Ahrenberg (verantw.)
Gestaltung: ChristianWerner, Nastasja
Schäfer, Karoline Gorman-Rigaud (AD),
Daniel Krüger (AD)
3-D-Bildbearbeitung: Simon Adrian
andreas scheiblecker
Veränderter Blickwinkel:
Eine neue Kultur des Sehens entsteht. Sie sollte die Schaulust befriedigen aber auf große Effekte verzichten.
Propheten einer neuen Bilderwelt
Die Entwicklung der 3-D-Technik im Kino scheint unaufhaltsam –
einher geht eine radikale Veränderung des Sehens und des Abbildens
von
G
eorg
S
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