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B e r l i n e r Z e i t u n g · N u m m e r 1 9 7 · 2 5 . A u g u s t 2 0 1 0
F
arbenstereoskop, bestehend aus einer
farbigen Doppelzeichnung und zwei
gefärbten Gläsern“, überschrieb der
deutsche Mathematiker Wilhelm Rollmann
1853 seine Abhandlung zu neuenMethoden
bei der Abbildung stereoskopischer Motive.
Es war die Geburtsstunde der Anaglyphen-
bilder, bei denen der Betrachtermittels einer
Brillemit zwei unterschiedlich gefärbtenGlä-
sern eine Zeichnung oder ein Foto in 3-D
betrachten kann. Zwar war es dem eng­
lischen Physiker CharlesWheatstone bereits
1833 gelungen, zwei achsenverschobene An-
sichten eines Motivs mittels eines Spiegel-
tricks zu einem stereoskopischen Bild zu-
sammenzufügen. Doch erst Rollmanns Er-
findung ermöglichte, dass zwei und mehr
Personen gleichzeitig dasselbe stereoskopi-
sche Motiv betrachten können – eine unbe-
dingteVo­raussetzung dafür, dass mit der Er-
findung des Films die 3-D-Technik auch in
die Kinosäle einzog.
Denn tatsächlich lernten die Bilder gegen
Ende des 19. Jahrhunderts nicht nur laufen,
sie beschritten auch nahezu zeitgleich den
Weg in die dritte Dimension: 1894 fand in
Manhattan die erste öffentliche Filmvorfüh-
rung statt. Nur ein Jahr später präsentierten
die Brüder Lumière einen ersten, experimen-
tellen Kurzfilm in 3-D – basierend auf der
Anaglyphentechnik vonWilhelm Rollmann.
Doch erst gut zwei Jahrzehnte später sorgten
Langfilme mit sensationsheischendem Plot
für die erste Blüte der noch jungen Technik.
Abseits der Kinopaläste blieb dieDarstellung
undRezeption von stereoskopischenBildern
jedoch auch weiterhin auf Guckkasten und
Stereobetrachter beschränkt, die zumeist auf
dasVerfahren vonWeatherstone und seinen
Epigonen setzten. 3-D, so die vorherrschen-
de Meinung, ist eine Jahrmarktsattraktion
und da soll sie auch bleiben.
DasKinoerlebteseitdenAnfängenmindes-
tens dreiWellen, diedenDurchbruchder 3-D-
Technik imKino verhießen – ohne ihn jemals
einzulösen: In den 20er-, den 50er- und den
80er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts
gab es kurze Phasen, in denen das Pub­likum
für kurze Zeit dem Charme der plastischen
Lichtbilder verfiel. Doch der Effekt verpuffte
immer wieder im Nichts, so wie der Trick ei-
nes Zauberers, dessen Geheimnis gelüftet
wurde. Die obligatorische rot-grüne Brille
blieb über lange Jahre das größte Hemmnis
auf demWeg zum großen Durchbruch.
Zwar hatte der amerikanische Ingenieur
Laurens Hammond bereits 1922 die so ge-
nannten Shutterbrillen, die einen farbstich-
freienBlick auf die Leinwand erlaubte, erfun-
den. IhreAnwendung für das großePublikum
erwies sich jedoch als technisch nicht reali-
sierbar. Denn die Synchronisation der Flüs-
sigkristalle in den Gläsern, die abwechselnd
das rechteunddas linkeAuge verdunkeln,mit
der Projektionder entsprechendenBilder auf
der Leinwand war zumdamaligen Zeitpunkt
nur mit Hilfe eines Kabels zu leisten – was zu
einemheillosenDurcheinander indenKino-
sälen geführt hätte. Heute übernimmt diese
Aufgabe ein Infrarotsender, vor allembei 3-D-
Anwendungen für den PC und bei der Fern-
sehtechnik. Für die Filmtheater gibt es inzwi-
schen eine weit günstigere Lösung, bei der
PolfilterbrillendieProjektionender Bildermit
unterschiedlicherWellenausrichtung für das
rechte und das linke Auge aufspalten, damit
dasGehirn sie zu einemräumlichenGesamt-
eindruck zusammensetzen kann. Die klare
Sicht ist ein klarer Vorteil bei dem Bestreben
der vierten, aktuellen 3-D-Welle, endlich alle
Widerstände hinwegzuspülenund zumPub-
likumsliebling zu werden.
Parallel hat jedoch, spätestens seit in den
90er-Jahrendieersten leistungsfähigenHeim-
PCs auf den Markt kamen, auch dieWissen-
schaft den Nutzen der 3-D-Technik für sich
entdeckt. Stereoskopische Verfahren sind
heute aus der Medizin, der Astronomie oder
auch der Fahrzeugtechnik kaum mehr weg-
zudenken. Waren die ersten 150 Jahre des
virtuellen, dreidimensionalen Raums eine
Geschichte, die auf Jahrmärkten und in Ki-
nosälengeschriebenwurde, kommenkünftig
wohl auch Labore undWohnzimmer hinzu.
Die Zukunf t i st 3-D
D 3
Wechsel der Perspektive
Die Stereoskopie ist bereits seit mehr als 150 Jahren bekannt, doch erst heute steht die Technik endgültig vor dem Durchbruch
von
J
an
A
hrenberg
wikimedia/Koperczak
Linsen-Stereoskop, Ende des 19. Jahrhunderts:
Zwei Halbbilder, welche die gleiche Szene aus unterschiedlichen Perspektiven zeigen, sind
Voraussetzung für einen plastischen 3-D-Effekt. Daran hat auch die moderne Technik nichts geändert.
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