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Mikroskopische Aufnahme
einer Mikrobe:
Dank 3-D-Bildern
können Patienten den Ausführungen
ihres Arztes leichter folgen.
thinkstockphoto/Irina Tischenko
B e r l i n e r Z e i t u n g · N u m m e r 1 9 7 · 2 5 . A u g u s t 2 0 1 0
Die Zukunf t i st 3-D
D 8
D
ank Filmenwie„Ava-
tar“ oder „Alice im
Wunderland“ hat
die 3-D-Technik im vergan-
genen Jahr auch inDeutsch-
land einen ungeahnten
Boom erlebt. Bald schon soll
die Technologie mit Fernseh-
geräten undVideospielen, die
dreidimensionale Bilder lie-
fern, auch im heimischen
Wohnzimmer nicht mehr weg-
zudenken sein. Von diesem vir-
tuellen Raumgewinn profitiert
jedoch nicht nur die Unterhal-
tungsindustrie: In der Medizin soll
sie nicht nur Ärzten das Handwerk
erleichtern, sondern auch helfen, Le-
ben der Patienten zu retten. „3-Dwar in
der Medizin bereits in aller Munde, lange
bevor ,Avatar‘ in die Kinos kam“, sagt Klaus
Drechsler vom Institut für Grafische Daten-
verarbeitung des Fraunhofer-Instituts in
Darmstadt.„Es ist eine kleine Revolution, die
in den vergangenen zehn Jahren stattgefun-
den hat“, betont auch Marc Dewey, Radio-
loge an der Berliner Charité.
Die dreidimensionale Zukunft der Medi-
zintechnik ist längst beim Patienten ange-
kommen. So ist der Einsatz dieser Technik
inder Pränataldiagnostik bereits ganz selbst-
verständlich: 3-D-Ultraschall-Geräte liefern
hier werdenden Eltern räumliche Ansichten
von ihrem ungeborenen Kind. Der Ablauf
der Untersuchung gleicht dem Ablauf einer
herkömmlichenUltraschall-Untersuchung.
Embryos sind bereits zwischen der zwölften
und 16. Schwangerschaftswoche, einzelne
Organe und Körperteile des Ungeborenen
zwischen der 25. und 33. Schwangerschafts-
woche sichtbar. Den dreidimensionalen Bil-
dern lässt sich sogar eine vierte, zeitliche,
Ebene hinzufügen. Einzelne Aufnahmen
werdenmiteinander kombiniert, sodass ein
„Ultraschall-Film“ entsteht. „Das könnte
man 4-D nennen“, sagt Fraunhofer-Experte
Drechsler. Die weiteren Dimensionen des
Ultraschalls sollen aber nicht nur schöne
Aufnahmen liefern, sondern auchmedizini-
sche Innovationen bieten. Ärzte wollen mit
der neuen Technik unter anderem Neural-
rohrdefektbildung,Herzfehler oderGesichts-
spalten bei den ungeborenen Kindern auf
die Spur kommen.
Hilfe für Tumorpatienten
Die 3-D-Technik hat sich auch in der
Computertomographie-Diagnostik (CT)
längst etabliert. Doch bislang nehmen die
Mediziner noch lediglichBilder aus verschie-
denen Perspektiven auf – und erhalten so
nichts weiter als einzelne Bildschichten, die
sie gedanklich zu einemModell zusammen-
fügen müssen. „Das ist, als ob man viele
Scheiben Brot miteinander kombiniert“, so
Drechsler. Mit der erweiterten 3-D-Technik
übernimmt der Computer diese Arbeit und
zeigt statt zweidimensionaler Bilder einplas­
tisches Modell auf dem Bildschirm, das sich
die Mediziner von allen Seiten aus ansehen
können. DieVorteile liegen auf derHand: Die
Übersetzungsarbeit vom flachen in das
räumliche Bild entfällt. Hinzu kommt ein
„medizinischerMehrwert“, erläutert Drechs-
ler: Tu-
moreetwa
könnten mit
der neuen Me-
thode viel genauer
vermessen werden.
In der Berliner Charité
werden jährlich20000Computer-
tomographien angeordnet. 320-Zeilen-
CT-Geräte liefern riesige Datensätze, die bei
Bedarf per Computer als 3-D-Modelle mo-
delliert werden können. Das sei aufwendig,
teuer undmedizinischnicht immer sinnvoll,
sagt Charité-Radiologe Marc Dewey. Beson-
ders bei unklarenBeschwerdendes Patienten
sei die neue Technik jedoch eine nützliche
Ergänzung. Hauptsächlich setzen die Medi-
ziner die 3-D-Bilder alternativ zuHerzkathe-
ter-Verfahrenein.Mit demHerzkatheter kön-
neman zwar hervorragendEngstellen inden
Herzkranzgefäßen feststellen, nicht aber alle
kalkhaltigenAblagerungenausmachen. Auch
herkömmliche Dickdarm-Untersuchungen
(Koloskopie) können bereits virtuell ersetzt
werden. Dem Patienten erspart die 3-D-CT-
Technik die lästige und unangenehme Un-
tersuchung mittels eines Darmrohrs, das
durchdenAfter eingeführtwerdenmuss.Weil
die Patienten allerdings auch für das neue
VerfahrenAbführmittel zu sichnehmenmüs-
sen, sei die Akzeptanz bislang nicht sehr viel
höher als bei einer herkömmlichenKolosko-
pie, sagt Dewey.
Pionierarbeit leistet derzeit das Fraun­
hofer-Institut auf demGebiet der medizini-
schen 3-D-Technik. In Zusammenarbeit mit
demstädtischen Krankenhaus inDarmstadt
soll das plastische Abbildungsverfahren in
den kommendenWochen bei einer Lebero-
peration eingesetzt werden. Dafür kombi-
nieren die Wissenschaftler die Aufnahmen
eines Computertomographenmit denen ei-
nes 3-D-Ultraschall-Scanners: Die CT-Bilder
vomBauchraumnehmen sie bereits vor der
Operation auf.Während der Operation fährt
ein 3-D-Scanner über die Operationsstelle
und gibt seine Daten an einen Computer
weiter, der siemit den CT-Daten verrechnet.
Weil die Daten während der gesamten Ope-
ration ergänzt werden können, haben die
Mediziner mehr Kontrolle über die Operati-
on, bei der bereits kleinste Fehler das ge-
sundheitlicheRisiko fürdenPatientenenorm
erhöhen. Von einem Leitstand aus können
die Spezialisten den Eingriff auf dieseWeise
fortwährend koordinieren. Der Chirurg sieht
nicht nur die Bilddaten auf einem Monitor,
sondern auch Angaben zur aktuellen Positi-
on der Instrumente und zu der geplanten
Schnittführung. Falls der Chirurg den ge-
planten Schnittkorridor verletzen sollte, wird
er frühzeitig darauf aufmerksam gemacht –
und kann seinen Eingriff korrigieren.
Mittelfristig könnte 3-D-Technik selbst
modernste Endoskopie-Verfahren ersetzen.
Bei Endoskopien erkunden Mediziner mit-
tels kleiner Sonden gezielt Partien des
menschlichenKörpers. Obgleichdie verwen-
deten Kameras extrem klein sind, müssen
die Ärzte dennoch operieren, umdie Sonden
einführen zu können.WeitererMinuspunkt:
Die Sichtverhältnisse während der Video-
Aufzeichnung sind nicht immer optimal,
besonders wenn die Kamera in kleinsteVer-
ästelungen des Körpers vordringen soll.
Infor-
matiker
der Otto-von
Guericke-Uni-
versität in Magde-
burg um Christoph Ku-
bisch und Arno Krüger ha-
ben 2008 erfolgreich eine
alternative Methode für die Hals-Na-
sen-Ohren-Heilkunde ausgetüftelt. Ihre
Technik erlaubt es, CT-Bilder des fein struk-
turierten und weitverzweigten Systems von
Nase undMittelohr amComputer zu einem
plastischen Gesamtbild zusammenzuset-
zen. „Plötzlich konnten wir durchs Ohr flie-
gen“, sagt Kubisch. Eine Studie an der Uni-
versität Leipzig habe gezeigt, dass besonders
die Patienten vomneuen Systemprofitieren.
Die dreidimensionalen Computerbilder lie-
ßen sich von Laien besser verstehen als
schwierig zu deutende Aufnahmen aus ei-
nem Computertomographen. „Verstehen
Patienten das, was die Mediziner bei ihnen
machen, steigt auch fast immer die Zufrie-
denheit mit dem gesamten Eingriff“, sagt
Christoph Kubisch.
Ein Wegweiser durch die Hirnwindungen
Auch in der Forschung soll die 3-D-Tech-
nologie Medizinern helfen, den menschli-
chen Körper besser als bislang zu verstehen.
Wissenschaftler an der Universität Eppen-
dorf inHamburg arbeiten seitmehreren Jah-
ren an der dreidimensionalenVisualisierung
desmenschlichenKörpers. Inzwischen kön-
nen sich Studenten und Mediziner bereits
mit kleinen Filmen auf eine virtuelle Reise
durch den menschlichen Körper begeben,
anhand von Bildern einer Gastroskopie ent-
standen beispielsweise dreidimensionale
Bilder des Magens. Schnitte durch den Kör-
per verdeutlichen auch die Lage der Organe
und der Knochen. AmEnde soll so etwas wie
ein menschlicher Anatomie-Atlas in 3-D-
Qualität entstehen.
KopfzerbrechenbereitetendenForschern
jedoch langediekompliziertenStrukturendes
Gehirns.MilliardenNervenzellengebenauch
Experten immer wieder Rät-
sel auf. Selbst Neurologen
sind sich bis heute nicht si-
cher, wo genau Gefühle wie
Liebe oder Wut entstehen.
ZusätzlichwirddieArbeit der
Wissenschaftler dadurch er-
schwert, dass sie bislang auf
dieGehirnkarte vonKorbinian
Brodmann zurückgreifenmüs-
sen, um innerhalb des Schädels
zunavigieren – dieKarte stammt
aus dem Jahr 1909. „Brodmann
war zwar ein Pionier auf dem Ge-
biet, aber sein Atlas war an vielen
Stellen brutal ungenau und manch-
mal schlicht falsch“, sagt der Neuro-
wissenschaftler Karl Zilles vom For-
schungszentrum Jülich. Brodmann ar-
beitete vor 100 Jahren mit einem
Mikroskop, das ihmnicht immer exakte Er-
gebnisse liefern konnte. Für jene Areale, die
für visuelle Eindrücke zuständig sind, habe
der Wissenschaftler lediglich zwei Gebiete
entdeckt. Tatsächlich scheinen abermindes­
tens zwölf Hirnareale an Sehprozessenbetei-
ligt zu sein. Entgangen sei ihm auch, dass im
Sprachzentrum nicht nur die Areale für die
Sprechkompetenz, sondern auch für gram-
matische Prozesse und kognitive Leistungen
lägen.
Das JülicherTeamkann sich dagegenmo-
dernster Technik bedienen: Es zeichnete die
Daten von Gehirnen Verstorbener mithilfe
eines Magnetresonanztomographen (MRT)
auf. Anschließend schnitten sie die Gehirne
in hauchdünne Scheiben, 6000 bis 8000 pro
Präparat, und dokumentierten sie mithilfe
vonScannern.DiedarausgewonnenenDaten
setzten sie am Computer zusammen. Der so
entstandene dreidimensionale Hirnatlas lie-
fert „milliardenfach genauere Daten als ein
MRT“, sagt Zilles. Bereits 60 Prozent des Ge-
hirns haben Zilles und seinTeamvermessen.
Die Ergebnisse stellten sie ins Internet, wo sie
jedermann kostenlos herunterladen kann.
Das Angebot stößt auf reges Interesse: In den
vergangenen zwei Jahren surften bereits
30000 Fachleute und Laien auf die Seite des
Forscherteams.
Wenn alles gut läuft, könnten die Jülicher
Wissenschaftler mithilfe des neuen Karten-
werks bereits innaher Zukunft denUrsachen
von Gehirnerkrankungen auf die Spur kom-
men. Ziel sei es, etwa Alzheimer schon in
Frühstadien zu erkennen, so Zilles. Für einen
medizinischen Hirncheck – ähnlich wie bei
der Brustkrebsfrüherkennung – sei es jedoch
noch zu früh. Zudem sei das Screening-Ver-
fahren mit 600 bis 800 Euro pro Aufnahme
derzeit noch schlicht zukostenintensiv.„Aber
alleVerfahrenwarenamAnfang so teuer“, sagt
Zilles. „Da wird sich in den kommenden Jah-
rennocheiniges tun.“EineZukunft ohne3-D-
Technik scheint in der Medizin jedenfalls
kaummehr vorstellbar.
Die Charité
bietet ein Servicetelefon an,
unter dem sich die Leser der Berliner
Zeitung zumThema „3-D-Technik in der
Computertomographie“ informieren können.
Das Team umMarc Dewey ist unter
Tel. 450 52 72 96 zu erreichen.
Atlas des Lebens –
eine Reise in den Körper
Dreidimensionale Bilder sind in manchen medizinischen Disziplinen bereits Standard
von
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Der Chirurg sieht nicht nur die
Bilddaten auf seinemMonitor,
sondern auch Angaben
zur aktuellen Position der
Instrumente und zu der
geplanten Schnittführung.
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