. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
B e r l i n e r Z e i t u n g · N u m m e r 1 9 7 · 2 5 . A u g u s t 2 0 1 0
E
ine der wohl bekanntesten 3-D-Auf-
nahmen vom Beginn des 20. Jahrhun-
derts zeigt eine einfache, ländliche
Szene auf denPhilippinen. Zu sehen sind vier
Bäuerinnen bei der Süßkartoffelernte: Die
Frauen stehen in ihrer groben Arbeitsklei-
dung auf einemzerfurchtenAcker, die schwer
beladenen Kiepen haben sie sich mit Stirn-
riemen umgeschnallt. Im Hintergrund be-
finden sich strohbedeckte Hütten am Fuße
einer Hügelkette. Die Aufnahme ist schwarz-
weiß, doch noch heute versetzt die plastische
Aufnahme den Betrachter vor Ort, lässt ihn
teilhaben an dem Alltagsleben der philippi-
nischen Bevölkerung vor 100 Jahren.
Seit ihrer Erfindung steht die Stereografie
unter demVerdacht, lediglich eine Spielerei
für technikverliebte Sonderlinge zu sein. Tat-
sächlich gibt es jedoch mindestens ebenso
lange Bemühungen, das Ablichtender räum-
lichen Perspektive als eigene Kunstform zu
etablieren. Hierbei setzen die Fotografen
nicht auf den vordergründigen Effekt, son-
dern versuchen die Stärken der Stereografie
zu nutzen, ohne in Klischees abzugleiten.
Besonders gut gelingt das oft bei Panoramen,
die nach demGuckkastenprinzip aufgebaut
sind. Wie bei der Aufnahme von den Philip-
pinendarf das Auge hier über die Szenewan-
dern, ohne dass es vordergründige Effekte
ablenken. Letztlich hängt die Qualität der
Aufnahme jedoch – wie bei der zweidimen-
sionalen Fotografie auch – davon ab, ob der
Fotograf die Technik beherrscht und kreativ
mit ihr umzugehen versteht.
Deshalb ist es unerlässlich, sich zunächst
mit der Funktionsweise des menschlichen
Sehens auseinanderzusetzen. Dennwir neh-
men unsere Umwelt nur aus einem Grund
räumlichwahr: Der Abstand zwischen unse-
renAugen sorgt dafür, dass uns unser rechtes
und unser linkes Auge keine identischen Bil-
der liefern. Vielmehr zeigt das rechte mehr
von der rechten Perspektive eines Objekts
und das linkemehr von der linken.Während
das Hirn diese beiden Eindrücke zu einem
komprimiert, erhält das Bild vom linken
Auge Zusatzinformationen vomrechten und
umgekehrt. ImErgebnis entsteht eine Abbil-
dung die den Eindruck erweckt, das wir um
die Ecke – oder eben räumlich – sehen. Ge-
nau diesen Effekt gilt es, beim Fotgrafieren
zu imitieren. Und dafür sind zwei baugleiche
Kameras notwendig; sie ersetzen während
der Aufnahme die rechte und die linke Per-
spektive des Augenpaares. Die Linsen müs-
sen so zueinander angeordnet sein, dass sie
dem mittleren Augen­abstand von etwa 6,5
Zentimeter entsprechen. Je nach Entfernung
des zu fotografierendenObjekts kann dieser
Abstand jedoch stark variieren – näheres
hierzu findetman indeneinschlägigenForen
im Internet unter demStichwort„stereosko-
pische Basis“.Wichtig ist in jedem Fall, dass
die Kameras ansonsten identisch eingestellt
sind. Das gilt ebenso für die vertikale wie
horizontale Ausrichtung als auch für die Be-
lichtungszeit, die Brennweite, den Weißab-
gleich und die ISO-Einstellungen.
Anders als unser Auge, das automatisch
auf dasjenige Objekt scharfstellt, das wir
aktuell betrachten, muss eine Stereografie
von vornherein scharf abbilden – sonst kann
das Auge später nicht über die Szene wan-
dern, sondern wird von unscharfen Ebenen
abgelenkt und der räumliche Eindruck zer-
fällt in viele kleine Einzelwahrnehmungen.
Blende elf für Kameras mit einem APS-C-
Sensor, über diesen verfügen die meisten
Einsteiger-Spiegelreflexkameras, erzeugt bei
den meisten Motiven eine ausreichende
Schärfentiefe.
Ideal für die Stereografie sind Szenen, die
sowohl einen interessantenVorder- als auch
Mittel- und Hintergrund bieten. Denn erst
wenn das Auge nahe und entfernte Objekte
zueinander inBeziehung setzen kann, ist die
räumliche Illusion perfekt. Als Faustregel gilt
jedoch, dass sichdieKameramindestens drei
Meter vom Vordergrund entfernt befinden
sollte. Idealerweise staffelt sich der Mittel-
undHintergrund über eineDistanz von zehn
bis 20 Metern dahinter. Der Wanderer über
demNebelmeer von Caspar David Friedrich
wäre deshalb ein schlechtes Motiv für einen
Stereografen: Die Person des Wanderers er-
schiene zwar plastisch, doch die Staffelung
der Felsen imMittel- und Hintergrund sind
zu weit von ihm entfernt und würden des-
halb flach erscheinen.
Will man die Aufnahmen später in Rot-
Cyan-Anaglyphen (siehe Kasten unten
rechts) wandeln, sollte das Motiv zudem
möglichst wenige Blau- und Rottöne enthal-
ten, da sich der 3-D-Effekt sonst geringer
oder gar nicht einstellt. Dieses Problem lässt
sich indes einfach umgehen, indem man
gleich auf Schwarz-Weiß-Fotos setzt – wie
eindrucksvoll die dritte Dimension selbst in
Graustufen ist, hat das Beispiel der philippi-
nischen Bäuerinnen bereits vor langer Zeit
gezeigt.
Die Zukunf t i st 3-D
D 2 0
Aufnahmen
der
dritten Art
Für eigene Aufnahmen mit
spektakulärem 3-D-Effekt
benötigt man ­
keine teure Technik –
sondern lediglich zwei
baugleiche Kameras, einen
Fernauslöser und etwas
Geschick beim Basteln
von
J
an
A
hrenberg
Kameras
Grundsätzlich eignet sich jeder Kamera-
typ für die Stereografie. Allerdings hängt
die Qualität der Bilder auch hier von
der Qualität des jeweiligen Modells ab –
die besten Ergebnisse lassen sich mit
­Kameras erzielen, bei denen der Foto-
graf weitestgehende Freiheit bei der
Wahl der Belichtungs- und Schärfe­
einstellungen hat. Deshalb sind Spiegel-
reflexsysteme meist Kompaktkameras
vorzuziehen. Da sich digitale Dateien
später leichter in stereoskopische Bilder
umwandeln lassen, kommen analoge
Systeme heute kaum noch zum Einsatz.
Auslöser
Spätestens dann, wenn man Menschen
oder Objekte in Bewegung fotografieren
möchte, kommt man nicht um einen
Synchron-Auslöser herum. Der ist jedoch
nicht im Handel erhältlich, lässt sich
allerdings relativ einfach aus einem
kabelgebundenen Fernauslöser sowie
einer Y-Weiche basteln. Vorausgesetzt,
der Fotograf kann mit einem Lötkolben
umgehen.
Befestigung
Um den Abstand der Linsen milimeterge-
nau steuern zu können und die parallele
Ausrichtung sowohl in der horizontalen
wie vertikalen Ebene gewährleisten zu
können, bedarf es einer Metallschiene,
auf der die Kameras mithilfe von Gewin-
deschrauben, die in das Stativgewinde
der Kameras passen, verankert werden.
Auch hier ist handwerkliches Geschick
gefragt.
Bearbeitung
Das verschmelzen der Synchronaufnah-
men und der Wandel in eine Rot-Cyan-
Anaglyphe geschieht heute in der Regel
am Computer – bereits kostenlose Bild-
bearbeitungsprogramme wie etwa gimp
bieten dafür die notwendigen Werkzeuge.
Tutorials zu den einzelnen Schritten fin-
den sich im Internet.
Tutorial:
Kostenloses Programm:
Betrachten
Rot-Cyan-Anaglyphen sind heute die ge-
bräuchlichste Form, stereoskopische
Aufnahmen zu betrachten. Dafür eignet
sich die Brille, die heute dieser 3-D-Son-
derveröffentlichung der Berliner Zeitung
beiliegt. Im Internet kann man jedoch
auch zahlreiche andere günstige Modelle
bestellen, die aus Plastik und somit lang-
lebiger sind.
Schritt für Schritt
Anaglyphe: Raufeld/Stefan Schrills
Das Auge ruht:
3-D-Motive sollten den Betrachter nicht anspringen, sondern einladen.
Raufeld/ivo wojcik, nastasja schäfer
1...,4,5,6,7,8,9,10,11,12,13 15,16,17