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B e r l i n e r Z e i t u n g · N u m m e r 1 9 7 · 2 5 . A u g u s t 2 0 1 0
Die Zukunf t i st 3-D
D 1 3
von
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lemens
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iedenthal
D
ie süßesten Früchte fressen nur die großen Tie-
re – witzelte Peter Alexander dereinst im Wirt-
schaftswunderschlager. 1990 aber, als sich die
deutsche Fernsehlandschaft gerade auf den Weg ge-
macht hatte, ihr eigenesWirtschaftswunder nachzuho-
len, waren die süßen Früchte plötzlich in aller Augen
und aller Munde. „Tutti Frutti“ hieß die Erotikshow-
Groteske des aufstrebenden Privatsenders RTL plus.
Und die Sendung mit Gastgeber Hugo Egon Balder soll-
te – so sah und sagte man es damals – mit vielen Tabus
brechen.
Ein technologisches Tabu immerhin war tatsächlich
darunter: Mindestens inDeutschlandwurde„Tutti Frut-
ti“ zur ersten Sendung, die sich vom zweidimensiona-
len Raum der Mattscheibe verabschieden sollte: Denn
ab der zweiten Staffel sendete die aus dem italienischen
Privatfernsehen adaptierte„Spielshow“ zentrale Szenen
in 3-D. Und zwar unter Rückgriff auf den so genannten
„Pulfrich-Effekt“– bei dem es sich genau genommen
um gar keinen tatsächlichen 3-D-Effekt gehandelt hat,
da die Aufnahmen mit nur einer Kamera gemacht wor-
den sind.
Die vermeintlich räumliche Wahrnehmung resul-
tierte stattdessen aus der einseitig verdunkelten Brille,
die RTL in einer beispiellosenWerbekampagne deutsch-
landweit unters Volk gebracht hatte. Kurz gesagt: Das
Gehirn verarbeitete die durch das verdunkelte Glas ein-
gefangenen Bildinformationen zeitverzögert. Überla-
gerten sich nun die beiden eigentlich identischen, aber
eben zeitlich versetzten Bilder vor dem inneren Auge,
entstand der Eindruck des räumliches Sehens. Ein vi-
suelles Echo sozusagen.
Dem gewöhnlichen „Tutti Frutti“-Zuschauer aber –
damals ja bekanntlich jeder und niemand – war solche
Theorie natürlich egal. Was zählte, waren die Tatsachen.
Ziemlich nackte zudem.
Vom Berliner Kulturphilosophen Friedrich Kittler
stammt die vermutlich richtige These, dass es für tech-
nologische Innovationen in erster Linie zwei Antriebs-
quellen gibt: den Krieg und den Körper, genauer die
Begierden des Letztgenannten. Und so verwundert es
auch nicht, dass das dreidimensionale Fernsehbild vor
zwanzig Jahren ausgerechnet über dieHintertür der ero-
tischen Zote nach Deutschland gekommen ist. Künftig
immerhin sollen es im sportlichen Wettkampf schwit-
zende Körper sein, die dem Fernsehpublikum in einer
tatsächlich dreidimensionalenKörperlichkeit begegnen.
Deutschland gegen Italien, Roger Federer gegen Rafael
Nadal.
Die Sportberichterstattung soll also der Markt und
das Medium werden, in dem die Fernsehsender in die
3-D-Technologie investieren. Auch, weil man auf dem
Feld der fiktionalen Erzählungen auf absehbare Zeit nur
als Juniorpartner des Kinofilms wahrgenommenwerden
würde. Als Zweitverwerter von James Camerons„Avatar“
und Artverwandten. Doch das Fernsehenmuss der Drei-
dimensionalität künftig eigene Dimensionen abgewin-
nen. Ein paar Zoten reichen da längst nicht mehr.
Hugo Egon Balders Brille
Ausgerechnet über die Hintertür der erotischen Zote wurde die Mattscheibe vor zwanzig Jahren dreidimensional. Ein Rückblick in die Zukunft
Modell: Raufeld/Nastasja Schäfer, Anaglyphe: Raufeld/Stefan Schrills
Kalkulierter Tabubruch:
Kaum ein Zuschauer hat je den Sinn der ziemlich anspruchslosen Raterunden bei Tutti Frutti begriffen. Aber die halbnackten Revuetänzerinnen in 3-D verstand jeder.
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